Sternenfaust - 187 - Fanal der blauen Sonne
die hektische violette Muster glitten. »Ein riesiger Vogel, seht selbst!«
Dyari und Nautia folgten ihm.
Ulesis Vogel hing in einiger Entfernung in der Luft und glänzte wie ein frisch geschliffenes Beil in der Sonne. Trotz der vier unbeweglichen Stummelflügel schwebte er sanft zu Boden. Nautia kam es eher so vor, als würde sie ein fliegendes Haus sehen. Wie recht sie mit ihrem Vergleich hatte, erkannte sie, als zehn Wesen aus dem Bauch des Vogels stiegen und auf die Ruine zuhielten.
Etwas weiter weg lag ein zweites Gebäude im Sand, dessen Bewohner die Strecke zur Ruine schon zur Hälfte überwunden hatten. Die Fremden verfügten über zwei Beine und zwei Arme, die nicht bis zum Boden reichten, sowie einen Kopf, der im Vergleich zum restlichen Körper winzig wirkte. Dafür waren die furchterregenden Gestalten flink, denn sie kamen rasch näher.
»Haben die Nautias Mutter?« Ulesi stockte und sprach doch Nautias Ängste aus.
»Ich fürchte, ja«, antwortete Dyari und drehte sich zu den anderen Gyaan um, die ihnen zum Eingang gefolgt waren und die Fremden beobachteten. »Die Wesen dort draußen haben unsere Leute auf dem Gewissen. Ihr wisst, was ihr zu tun habt?« Dyari klopfte sanft auf seine Giftdrüse und spähte nach draußen. »Dann los! Die Fremden werden gleich hier sein.«
*
Die Ruine, die sie bei ihrem Landeanflug in einem Hain bleicher Bäume entdeckt hatten, lag fünf Kilometer von ihrem Landeplatz entfernt. Hier hatten es die Marines einfacher als die Offiziere oder Turanagi und Taro. Dank der in den Kampfanzügen integrierten Kraftverstärker legten sie den Weg ohne große Anstrengung zurück. Der Umstand, dass die Schwerkraft von Fanal II mit 0,88 g unterhalb der Erdnorm lag, beruhigte alle Teilnehmer. Da die Luft atembar war, blieben auch die Luftfilter außer Betrieb und die Visiere geöffnet.
Das Gemäuer sah aus wie in Joelles Erinnerung. Aus dem Gestein der Umgebung erbaut, hatte es einen rechteckigen Grundriss und dehnte sich über eine Fläche von zweihundert Quadratmetern aus. Es war über und über mit in den Stein geschlagenen Verzierungen übersät. Auf Bodenniveau führte ein Durchgang ins schattige Innere. Die Luftwurzeln der Bäume bedeckten die Säulen, die den Eingang flankierten. Die Fensterscharten des Gemäuers zeigten zur sonnenabgewandten Seite.
Das Dach bestand aus Steinblöcken, die mit einem teerähnlichen Mittel bestrichen waren. Bäche, die offenbar künstlich angelegt worden waren, führten ins Innere der Ruine.
»Ich schlage vor, wir dringen in das Gebäude ein. Keine Feindortungen, keine sonstigen Auffälligkeiten – ich sehe nicht einen Grund, länger zu warten.« Joelle scharte mit dem rechten Fuß im Sand.
Yefimov bemerkte es und fragte: »Ungeduldig, Lieutenant?«
Sie sah ihm in die Augen und entdeckte nicht die geringste Spur von Belustigung. »Zugegeben, ich bin ungeduldig. Aber nicht derart, dass ich unvorsichtig würde. Ich kenne das alles aus meiner Vision. Und ich spüre, dass mich etwas hierher gelockt hat. Wissenschaftlich und nüchtern ausgedrückt scheint dieses Etwas über die Hyperstrahlung Fanals mit meiner HD-Raum-Affinität zu interagieren.«
»Das muss dennoch nicht bedeuten, dass es für uns sicher ist«, brummte Yefimov. »Im Gegenteil! Es könnte auch eine Venusfliegenfalle sein.«
»Eine was?«, fragte Joelle irritiert.
»Venusfliegenfallen locken Insekten durch duftende Sekrete an. Und sobald ein Insekt sich auf der Pflanze niederlässt, klappen die Fangblätter innerhalb von hundert Millisekunden zu. Das Insekt hat keine Chance.«
»Ich bin kein Insekt!«, widersprach Joelle verärgert.
Yefimov wandte sich an Taro. »Wie ergeht es Ihnen? Reagiert ihr Akoluthorum in irgendeiner Weise?«
Taro hatte bislang geschwiegen. Das lag nicht nur daran, dass er zwar schnell die Sprache Solar erlernt hatte, sich darin aber natürlich noch unsicher fühlte. Die Karolaner waren es generell nicht gewohnt, abstrakte Eindrücke und Gefühle über das auszudrücken, was sie als Lautsprache bezeichneten.
Der Karolaner blickte hilfesuchend zu Turanagi. Er hatte inzwischen gelernt, sich Turanagi über Gedankenbilder mitzuteilen.
»Taro ist ebenso wie Sie aufgewühlt und ungeduldig«, erklärte Turanagi. »Er scheint sein Akoluthorum intensiver zu spüren. Ob das an der Hyperstrahlung, an der Sonne oder an etwas ganz anderem liegt, ist allerdings völlig offen. Das Gefühl des Lockens scheint sich jedenfalls seit unserer Ankunft verstärkt
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