Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
weiter hoffen.«
»Und beten«, sagte Anne Mather. Sie hielt ihre Hände, als würde sie etwas Unsichtbares und unendlich Kostbares in den Handflächen bergen. Ihre Stimme erhob sich in einem Singsang: »O Herr, bitte beschütze die Menschen der
Empyrean.
Umfange sie mit deiner Liebe, berge sie an deiner Brust und sorge dich um ihre Sicherheit. Und wenn es dein Wille ist, Herr, bitte weise uns den Weg zu ihnen. Hilf uns, unsere verlorenen Geschwister zu finden, und bringe sie in unsere Obhut. Bis es so weit ist, o Herr, hilf diesen lieben Kindern zu verstehen, dass sie über alle Maßen kostbar sind. Für jedes dieser Mädchen wollen wir sorgen, als wären sie unsere eigenen Töchter. Wir werden sie lieben und beschützen bis zu dem Tag, an dem sie mit ihren Familien wiedervereint werden – entweder in diesem oder im nächsten Leben. Amen.«
In diesem oder im nächsten Leben.
Waverly hörte die Worte, und am liebsten hätte sie darauf gespuckt. Aber der Kummer würde sie krank machen, und so schluckte sie ihn hinunter und lächelte Anne Mather an. Samantha und Sarah starrten Waverly noch immer zornig an, und sie ließ ihren Blick auf ihnen ruhen, bis Samanthas Blick weicher wurde. Dann sagte sie: »Okay, wo kriege ich Frühstück? Ich bin am Verhungern.«
Serafina führte sie an der Hand in die Küchensektion, wo Tabletts mit Brot, Früchten und kaltem Hühnchen aufgestellt waren. Waverly machte sich einen Teller fertig und ging zurück in die Cafeteria, wo sie Anne Mather vorfand, die mit Samantha und Sarah redete, die stumm auf ihre eigenen Hände starrten. Waverly setzte sich so hin, dass sie Samantha sehen konnte, und wartete, bis das andere Mädchen sie anschaute. Waverly gestikulierte nicht, sie blickte nur sehr ernst und zeigte, dass sie nicht nachgegeben hatte. Als Samanthas Blick zurück zu Pastorin Mathers Gesicht glitt, stand in ihm stählerne Entschlossenheit. Waverly fühlte sich weniger einsam, jetzt, da sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die Mather nicht vertraute. Wenn die Frau log, machte sie das sehr gut, und die Geschichte, die sie erzählte, war ziemlich plausibel. Aber Waverly konnte nicht vergessen, dass ihre »Retter« Menschen erschossen hatten. Felicity hatte die Schießerei mit eigenen Augen gesehen und konnte ihr dabei helfen, mit den anderen Mädchen zu reden und ihnen zu erklären, dass Mather eine Betrügerin war. Sie musste einen Weg finden, sich mit Felicity allein zu unterhalten.
Verbündete
A nne Mathers Stimme dröhnte noch in Waverlys Ohren, als sie in dieser ersten Nacht im Schlafsaal zur Ruhe zu kommen versuchte. Irgendetwas, das die Frau gesagt hatte, hatte ihr Angst gemacht.
Für jedes dieser Mädchen wollen wir sorgen, als wären sie unsere eigenen Töchter.
Unter diesen Worten lag etwas Böses, das Waverly näher heranführte an eine schreckliche Wahrheit. Die Worte nagten an den Rändern ihres Verstandes und sickerten in ihre Träume.
Wie unsere eigenen Töchter.
Mit einem Ruck setzte sie sich in ihrem Bett auf. Sie wusste jetzt, was Mather als Nächstes tun würde. Sie musste sofort mit Felicity reden. Waverly sah zum Eingang, wo eine kleine, plumpe Frau in einem Stuhl Wache hielt. Anne Mather hatte sie eine »Matrone« genannt, und einige andere Crewmitglieder waren den Mädchen offiziell als sogenannte Integrationshelfer zur Seite gestellt worden, die sie beim »Einleben«, wie Mather sich ausdrückte, »mit aller Liebe« unterstützen sollten. Aber Waverly wusste, dass die Matrone und auch die anderen vermeintlichen Helfer in Wirklichkeit Aufpasser waren. Obwohl Waverly das Gesicht der Frau nicht sehen konnte, hatte sie den Eindruck, dass sie schlief. So leise, wie sie konnte, schlüpfte sie unter ihrer Bettdecke hervor, schlich am Rand der Feldbetten entlang und auf die Außenwand zu, wo sie Felicity gesehen hatte. Dann ließ sie sich auf die Knie herab, kroch langsam weiter, und das Rascheln des Nachthemds an ihren Beinen erschien ihr unerträglich laut. Schließlich erreichte sie Felicity und schüttelte sie sacht an der Schulter. Als Felicitys Augen aufflogen, legte Waverly ihr eine Hand über den Mund und flüsterte: »Still.«
»Was machst du hier?«, zischte Felicity.
»Ich glaube, sie werden uns trennen. Sie werden uns in Familien stecken.«
»Was?«
»Sie werden uns voneinander isolieren, damit wir uns nicht unterhalten können.«
Felicitys Körper spannte sich an, und sie schluckte. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Waverly
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