Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
ist ein schwerer Schlag für dich. Aber wir brauchen dich, damit du uns mit den jüngeren Mädchen hilfst. Sie brauchen eine vertraute Autoritätsperson, jemanden, an den sie glauben können. Felicity hat so viel geholfen, wie sie konnte, aber, nun ja …« Mather lächelte warm. »Ich fürchte, sie besitzt nicht deine Charakterstärke.«
Waverly zwang sich dazu, bescheiden über Pastorin Mathers Kompliment zu lächeln. »Ich bin die Älteste«, sagte sie.
»Das ist richtig. Und damit sind Verpflichtungen verbunden, habe ich recht?«
»Ich versuche es«, sagte Waverly.
Anne Mather betrachtete sie lange, dann schien sie zufrieden zu sein. »Also gut, Liebes. Ich lasse dich ansagen, dass wir immer noch die Gegend abscannen und nach euren Eltern suchen. Die Mädchen werden es sicher gern hören, dass wir noch nicht aufgegeben haben.« Sie stand auf und nahm Waverlys Hand. »Ich schätze, sie frühstücken gerade. Du kannst die Ansage dort machen.«
Anne Mather führte Waverly einen Korridor hinab und in eine große Messe, die zur Hälfte mit länglichen Tischen gefüllt war. Schon der kurze Weg den Flur entlang schien sie erschöpft zu haben, und sie atmete schwer.
Die Leute hier müssen tatsächlich krank gewesen sein,
dachte Waverly.
Alle einhundertdreißig Mädchen von der
Empyrean
saßen an den Tischen und aßen. Sie trugen Variationen desselben aufgeputzten pinkfarbenen Kleids, das Waverly trug, und ihre Haare waren in Zöpfen zurückgebunden. Niemand sprach, und nur das Klacken des Bestecks gegen die Metalltabletts durchbrach die Stille des Raums. Die kleine Briany Beckett schaute von ihrem Teller auf, sah Waverly und stieß ein Quieken aus. Da bemerkten sie auch die anderen Mädchen, und ein Aufschrei ging durch die Messe, als die Kinder auf Waverly zustürmten. Plötzlich war sie von einer Meute umgeben, alle streckten die Hände aus, berührten sie, hielten sie fest, klopften ihr auf den Rücken und riefen Fragen durcheinander. Waverly hielt die Hände hoch. »Mir geht es gut, mir geht es gut!«
Anne Mather hatte sich entfernt, saß jedoch an einer Stelle, von der aus sie Waverlys Gesicht beobachten konnte. Als sie Waverlys Blick begegnete, hob sie erwartungsvoll die Brauen.
Waverly zwang sich zu einem ruhigen Tonfall. »Alle mal herhören, ich habe etwas anzukündigen!« Sie wartete, bis die Mädchen sich beruhigt hatten und sie mit großen, hoffnungsvollen Augen anschauten. Sie sahen alle gleich aus mit ihren Schleifen und Kleidern, während sie Waverly anstarrten und warteten, dass sie etwas sagte. Serafina Mbewe kam in ihrer stillen Art zu ihr, umfasste mit ihrer pummeligen Faust Waverlys Zeigefinger und sah zu ihrem Gesicht auf, um von ihren Lippen zu lesen.
»Pastorin Mather hat mir ein paar Informationen gegeben …«
»Tante Anne?«, fragte Ramona Masters und winkte mit ihrer kleinen fetten Hand über dem Kopf. Sie sah sich im Raum um, sah, wo Mather saß, und trottete hinüber zum Schoß der Frau. Andere junge Mädchen folgten, lehnten sich gegen Mather oder setzten sich einfach neben ihr auf die Bank. Von Kindern umringt, wirkte die Frau wie eine freundliche, alte Großmutter. Sie schien sich des Effekts bewusst zu sein und kicherte mit glitzernden Augen.
Diese Frau war eine meisterhafte Manipulatorin, dachte Waverly. In den paar Tagen, die sie bewusstlos gewesen war, hatte sie die meisten Mädchen dazu gebracht, zu glauben, sie sei ihre Freundin. Der Gedanke jagte Waverly kalte Schauer über den Rücken.
»Die Crew hier versucht mit allen Mitteln, unsere Eltern zu finden.« Sie erstickte nahezu an dem Schmerz, der ihr im Hals nach oben stieg. »Sie haben noch nicht aufgegeben, und das solltet ihr auch nicht.«
Sie hörte ein spöttisches Lachen und sah, wie Samantha Stapleton sie voller Verachtung anstarrte. Sarah Hodges stand neben ihr und schüttelte den Kopf.
Waverly nickte knapp. Sie würde später mit ihnen reden.
»Wann sehen wir unsere Mamas?«, fragte Winnie Rafiki. Sie war eine der Jüngsten, und ihre schwarzen Locken schwebten über ihrem Kopf wie eine Schokoladenwolke. »Ich vermiss meine Mama.«
»Das tue ich auch«, sagte Waverly. Ein Bild des Lächelns ihrer Mutter schoss ihr durch den Kopf, und plötzlich wollte sie schreien.
Den Schein wahren. Den Schein wahren. Den Schein wahren,
sagte sie sich.
Sei stark.
Im Raum war es so still, dass alle Mädchen ihr Flüstern hören konnten. »Ich weiß nicht, wann wir unsere Familien wiedersehen werden. Wir müssen einfach
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