Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
nicht …« Amanda hielt inne und musterte die beiden Männer nachdenklich. Auch ihr schien nicht entgangen zu sein, dass sie eher wie Wachen als wie Unterstützer oder gar Unterrichtshelfer wirkten. »Ich weiß nicht, was dieser ganze Aufstand soll«, murmelte sie schließlich mehr zu sich selbst als an ihr Gegenüber gewandt.
»Die Pastorin –«
»Ich bin eine der engsten Freundinnen der Pastorin, Nigel. Wenn sie dich deswegen zur Rede stellt, schick sie zu mir.«
Der kleinere der Männer wollte protestieren, aber der größere zupfte ihn am Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Okay, Ma’am. Viel Spaß beim Spazierengehen.«
»Endlich ein bisschen Raum zum Atmen!«, flüsterte Amanda glücklich und nahm Waverlys Hand. »Was möchtest du gern sehen? Da wäre einmal das Arboretum. Oder wir könnten ins Observatorium gehen. Ich habe gehört, dass einige Leute behaupten, man könne inzwischen tatsächlich ab und an die Sterne sehen. Sie meinen, wir wären fast durch den Nebel hindurch! Ist das nicht aufregend?«
»Das ist es«, sagte Waverly, aber sie war in Gedanken ganz woanders und versuchte, sich an den grundlegenden Entwurf des Schiffs zu erinnern. Sie musste so nah wie möglich an den Steuerbord-Frachtraum heran. »Eigentlich haben mich die Obstgärten interessiert.«
»O ja! Ich glaube, die Kirschen stehen gerade in voller Blüte!«, sagte Amanda. »Wir haben über Bestäubung eine Kreuzung erzeugt, die wunderschöne Früchte trägt. Willst du sie sehen?«
Waverly nickte, folgte Amanda den Gang hinunter und lächelte die Vorbeikommenden, die sie neugierig betrachteten, freundlich an. Sobald sie im Fahrstuhl waren, versuchte Amanda, die Stille mit Geplauder über Farbe und saftige Konsistenz der Kirschen zu überspielen, und befand, sie müsse unbedingt ein paar Kirschen auf Waverlys Porträt unterbringen. Schließlich hielt der Fahrstuhl auf dem Deck mit den Obstgärten.
»Sind das nicht einfach wunderschöne kleine Bäume?«, fragte Amanda und öffnete ihre Arme weit. Der süße Duft der Kirschblüten erfüllte die Luft, und die Luftfeuchtigkeit umschmeichelte Waverlys Gesicht. Amanda war so von den Blüten verzaubert, dass sie nicht bemerkte, wie Waverly einen Schritt zurücktrat und schließlich noch einen, bis sie wieder im Fahrstuhl stand und die Türen sich schlossen.
Waverly schlug auf den Knopf für die Frachträume.
Komm schon, komm schon, komm schon,
bettelte sie lautlos. Sie hatte vielleicht eine Minute, bevor Amanda die Integrationshelfer oder die Schiffssicherheit rief oder Waverly selbst folgte. Sie seufzte. Vermutlich würde Amanda wirklich nur deshalb Hilfe holen, weil sie sich aufrichtig um ihr Wohlergehen sorgte. Aber zum einen konnte sie sich dessen nicht sicher sein, und zum Zweiten machte es in letzter Konsequenz keinen Unterschied. Egal wie, sie hatte keine Zeit zu verlieren.
Endlich öffneten sich die Türen zu einem gewaltigen Raum. Regale mit Lagercontainern aus Metall, so groß wie ein Haus, reichten hoch über Waverlys Kopf bis zur Decke hinauf. Die Wände verloren sich auf beiden Seiten in gedämpfter Dunkelheit und ließen den Laderaum endlos erscheinen. Sie konnte hier Wochen suchen und trotzdem niemanden finden.
Als sie das Summen eines Fahrstuhls auf dem Weg nach unten hörte, begann sie zu rennen, bog kurz darauf um die nächstbeste Ecke und sprintete über das Metalldeck. Auf der Notiz der Frau stand, dass die Crew an der Steuerbordseite zu finden war. Also wandte sie sich nach rechts und rannte weiter. In der Entfernung hörte sie die elektronische Glocke des Fahrstuhls und Amanda, die aufgeregt ihren Namen rief. »Waverly, Liebes, das ist nicht witzig!«
Waverly versuchte nachzudenken, während sie durch die Reihen der riesigen Container lief. Sie wusste, dass es organisatorisch aufwendig war, hier unten Leute einzusperren. Sie brauchten Essen und Wasser. Also wäre es am günstigsten, sie in der Nähe irgendwelcher Fahrstühle unterzubringen. Sie waren nicht an den Fahrstuhlschächten gewesen, mit denen sie nach unten gekommen war; also rannte sie jetzt quer durch den Raum, sah in jede Reihe und hoffte, die Lampen über den Steuerbord-Fahrstühlen zu entdecken. Sie rannte, bis sich Amandas Stimme in der Dunkelheit verlor.
Waverlys Herz schmerzte, und ihre Lungen brannten, aber sie lief noch immer weiter. Sie hatte die Hälfte des Wegs zur anderen Seite hinter sich gebracht, als sie rechts einen Lichtschimmer sah. Sie bog um die Ecke und lief schneller. Die
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