Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)
Fettgeruch diverser elektronischer Werkzeuge. Unter stummem Flehen ließ er seine Finger über die Panele an der Rückseite des Raums gleiten und seufzte erleichtert, als er seinen alten geheimen Einstieg fand.
Viele Jahre zuvor hatte sein Vater ihn in diesen Raum gesperrt, und nach etlichen Stunden der Verzweiflung und des Hungers hatte Seth schließlich die Verkleidung der Rückwand gelöst und einen Gang gefunden, der hinter allen Wohnquartieren entlangführte. Der Gang beinhaltete Sanitär-, Elektrik- und Belüftungsvorrichtungen für die Kabinen, bot aber an einer Seite auch noch Platz für einen schmalen Jungen, der sich an den Installationen vorbeischlängelte. Aus Angst davor, dass sein Vater ihn hier finden und bestrafen könnte, hatte Seth niemals jemandem von seinem Fund erzählt. Jetzt war er dankbar für seine Verschwiegenheit. Niemand würde ihn hier vermuten. Und das Beste war: Er wusste, dass keine Kamera auf den Wartungsraum gerichtet war. So konnte er kommen und gehen ohne die Angst, entdeckt zu werden.
Er glitt in den schmalen Durchgang, der jetzt, da er ausgewachsen war, kaum genug Raum bot, um ihn aufzunehmen. Doch wenn er den Bauch einzog, würde es ihm gelingen, sich zwischen den unzähligen Kabeln und Rohren hindurchzumanövrieren, und wenn er vorsichtig war, würden auch seine Beine sich nicht in den Entwässerungsleitungen und Lüftungskanälen verfangen. Immer wenn er über eine der Entwässerungsleitungen stieg, wusste er, dass er eine weitere Kabine passiert hatte. Und als er an zwölf Rohren vorbei war, war er zu Hause angekommen.
Mit seinen Fingernägeln rüttelte er vorsichtig an dem Panel, bis es sich schließlich mit einem letzten Ruck löste und er im Wandschrank seines Vaters stand. Sofort umfing ihn der Geruch des alten Mannes, ein saures Aroma, das ihn stets an ranzige Zitronen erinnert hatte. Er kämpfte sich durch die Kleider im Inneren und schlüpfte schließlich durch die Schranktür, wobei er fast über einen Berg schmutziger Wäsche stolperte, der sich in der Mitte des Schlafzimmers seines Vaters auftürmte. Er fing sich auf dem Schreibtisch ab, hielt nach Lebenszeichen Ausschau, aber die Kabine war leer und wirkte verlassen und geisterhaft.
Eine Flut düsterer Erinnerungen umfing und lähmte ihn, aber er zwang sich weiterzugehen. Er griff nach dem tragbaren Kom-System seines Vaters, klappte den Bildschirm auf das Keyboard, klemmte sich das Gerät unter den Arm und wandte sich ab, um in den Schacht zurückzukehren.
Mit dem Computer unter dem Arm war der Rückweg deutlich schwieriger als der Hinweg, aber Seth nahm sich Zeit und hielt alle paar Minuten inne, um seinen wunden Muskeln eine Pause zu gönnen. Der schmutzige, stinkende Wartungsraum war eine Erlösung nach dem engen, stickigen Gang, und Seth hielt inne, um sich zu strecken, und versuchte, die Knoten zwischen seinen Rippen zu lösen.
Als er schließlich den Raum verlassen wollte, hörte er plötzlich Stimmen auf dem Korridor und stoppte, um zu lauschen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Hatten sie ihn hier aufgespürt? Vielleicht hatte Kieran ihn auf dem Vid gesehen! Aber nein. Es klang eher nach zwei kleinen Mädchen auf dem Weg zum zentralen Fahrstuhlschacht.
»Hast du gesehen, wie Kieran Waverly letzte Nacht in sein Büro abkommandiert hat?«
»Vielleicht stimmt es ja. Vielleicht haben sie sich wirklich getrennt.«
»Das glaube ich nicht. Nicht bei den Blicken, die sie ihm immer noch zuwirft.«
Seths Magen krampfte sich zusammen, und zum wohl tausendsten Mal wünschte er sich, er würde sie nicht lieben. Sie würde sich nie mit einem ungehobelten Typen wie ihm einlassen und deshalb könnte er sie sich ebenso gut gleich aus dem Kopf schlagen. Seit Jahren predigte er sich selbst, sie loszulassen, und er wusste, dass er niemals mit ihr zusammen sein würde, aber es gelang ihm einfach nicht, sie aufzugeben. Vielleicht war er stur, vielleicht auch einfach dumm.
Mal davon abgesehen, dass es so etwas wie Liebe gar nicht gibt, sagte er zu sich selbst, während ihm der wölfisch-animalische Blick wieder in den Sinn kam, mit dem sein Vater seine Mutter stets betrachtet hatte. Wenn ein Ehemann seine eigene Frau töten kann, weißt du, dass Liebe nur ein Märchen ist.
Und das brachte Seth zurück zu dem sicheren Ort, den er kannte – jenem, wo er niemanden brauchte und auch niemand jemals auf ihn angewiesen sein würde, wo er niemandem je nahe genug kommen würde, als dass dieser die Dunkelheit in ihm würde
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