Sternenfeuer
rechnete aber nicht mit Problemen.
Das änderte sich urplötzlich um 20:16 Uhr, als ein Taxifahrer in Verletzung der Straßenverkehrsordnung einen Spurwechsel auf der Hochstraße vornahm, die eine Ecke der Administration Plaza tangierte. Der Taxifahrer, der sich zum Schichtwechsel verspätet hatte, raste auf der inneren Spur der Ausfahrtrampe des New Holland-Tunnels in eine Kurve. Mitten in dieser Kurve touchierte er mit dem linken Vorderrad ein anderes Fahrzeug, wurde über die Barriere hinweg in die Luft geschleudert und krachte in die dicht gedrängte Menschenmenge unter ihm.
Vier Menschen wurden sofort getötet, und drei andere überlebten noch so lange, dass man ihre Schreie überall auf dem überfüllten Platz zu hören vermochte. Ein Dutzend Personen war so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden müssten. Die Schreie der Sterbenden und Verwundeten waren zu viel für die Menschen, deren Nerven durch die Neuigkeit von den Aliens sowieso schon bis zum Zerreißen gespannt waren. Diejenigen in unmittelbarer Umgebung des Autowracks ließen ihren Zorn an dem unglücklichen Fahrer aus, der den Sturz aus zehn Meter Höhe in die Menschenmenge überlebt hatte, nur um jetzt aus dem zerstörten Fahrzeug gezogen und vom blindwütigen Mob verprügelt zu werden. Die Leute, die weiter als eine Armlänge entfernt waren, richteten ihren Zorn gegen die Symbole der Staatsmacht. Ein paar Polizeibeamte wurden angegriffen. Die Gewalt breitete sich wie ein Lauffeuer aus, und nach einer Stunde stand der ganze städtische Komplex buchstäblich in Flammen.
Die Nachricht vom Aufstand verbreitete sich in Windeseile um den ganzen Planeten. Die eigentliche Ursache ging in der Berichterstattung irgendwie unter, und die atemlosen Reporter erweckten den Eindruck, dass die Aufstände eine Reaktion auf die Alien-Krise seien. Die Unruhen breiteten sich mit der Geschwindigkeit aus, in der über sie berichtet wurde. In praktisch jeder größeren Stadt wandten die Menschen, die zusammengekommen waren, um Trost und Zuspruch von ihren Regierungen zu erfahren, sich plötzlich gegen ihre Führer. Es begann mit eingeschlagenen Fensterscheiben und steigerte sich dann schnell zu Plünderungen und Brandstiftung.
Die Unruhen hatten für vier Tage angedauert und schon mehr als tausend Menschen das Leben gekostet. Schiffe im Orbit berichteten, dass sie das Licht der brennenden Städte am Nachthimmel quasi als Orientierungshilfe zu nutzen vermochten. Schließlich wurden die Menschen sich jedoch der Irrationalität der Gewalt bewusst oder wurden ihrer einfach überdrüssig. Die wütenden Mengen zerstreuten sich, bis fast nur noch Plünderer übrig blieben. Und dann schienen selbst die Plünderer das Interesse zu verlieren, und schließlich war alles vorbei.
Nadine Halstrom schaute aus dem Fenster in die kalte Winternacht und schauderte bei der Erinnerung an die langen Nächte der Aufstände. Immer wenn die Menschheit glaubte, die uralte Bestie der Herrschaft des Pöbels sei gezähmt, wurde sie durch irgendeinen Zwischenfall daran erinnert, dass sie kein bisschen zivilisierter waren als ihre in Höhlen lebenden Vorfahren, sondern nur stärker von den Realitäten des Lebens isoliert. Sie fragte sich, wie viele solcher Vorkommnisse ihre Karriere noch aushielt. Schon jetzt hatte sie fast das halbe Parlament gegen sich. Noch ein paar solcher Unruhen, und sie konnte sich in der Datenbank der Agentur für Arbeit registrieren lassen.
Während sie aus dem Fenster auf die langsam heilenden Wunden der Stadt unter der Decke aus reinem weißem Schnee schaute, fragte sich, ob das wirklich so tragisch wäre. Sie geriet manchmal schon in Versuchung, sich der Bürde der Verantwortung zu entledigen und wieder ein ganz normaler Bürger zu werden. Dann hätte sie wenigstens wieder mehr Zeit für die Familie, und ein anderer konnte sich den Kopf über die Aliens zerbrechen.
Sie schwelgte noch für eine Minute in dieser Fantasie und ging dann mit einem Seufzer zum Schreibtisch zurück. Probleme harrten der Lösung, und mit einem Blick aus dem Fenster war das nicht zu bewerkstelligen.
29
Sechs Monate nach dem Abflug vom Neptun wurde Mark Rykand der Romantik des Raumflugs überdrüssig. Das Problem mit dem Flug im Uberlichtbereich war nämlich, dass es nichts zu sehen gab. Bisher hatte noch niemand eine Möglichkeit gefunden, wie ein mit Überlichtgeschwindigkeit fliegendes Raumschiff einen Blick ins Normaluniversum zu werfen vermochte. Kein Wunder, denn
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