Sternenfinsternis (German Edition)
ohrenbetäubenden Lauten, welche die beiden nach Blut lechzenden Raubtiere immer wieder ausstießen, schien dies eine unlösbare Aufgabe zu sein.
Mehr und mehr verstärkte sich der Eindruck, dass das kleinere langsam die Geduld verlor. Immer häufiger scharrte es angriffslustig mit einer seiner Pranken im hartgefrorenen Weiß. Das Blut der Wunde an seinem Hals hatte bereits Teile seines Vorderläufers bräunlich gefärbt und die Kräfte schwanden zunehmend.
Einen kurzen Augenblick von dem kleineren Eismonster abgewandt, sah Nokturijè aus dem Augenwinkel heraus, wie es zu einem mächtigen Sprung ansetzte. Das größere schien nur darauf gewartet zu haben und machte ebenfalls einen Satz.
Obgleich Nokturijè auf solch eine Situation vorbereitet war, zögerte sie. Vor Angst erstarrt und darüber bewusst, dass diese Unentschlossenheit ihren Untergang besiegeln konnte, sah sie zu, wie die Kontrahenten beiderseits mit gespreizten und nach vorn ausgerichteten Krallen aufeinander zu hechteten. Käme sie nicht wieder rechtzeitig zur Besinnung, brächen die beiden Ungetüme, die unmittelbar über ihr zusammentreffen würden, über sie herein und begrüben sie unter sich.
Statt den einzig logischen Entschluss zu fassen und sich in Sicherheit zu bringen, ließ sie ihre Klingen aus den Handgelenken schnellen. Aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund hatte sie sich das wahnsinnige Vorhaben in den Kopf gesetzt, die Bestien mit einem Streich zur Strecke zu bringen.
Für ihre Augen, in einem stark verminderten Zeitablauf, trafen die Eismonster über ihr zusammen. Sie beugte leicht ihre Knie, dazu bereit in die Höhe zu schnellen und in die Untiere ihre Klingen zu versenken, als wie aus dem Nichts etwas herangeflogen kam, sie packte und aus der Gefahrenzone herausriss, noch bevor eines der beiden Monster auf dem eisigen Grund aufkam.
Chaotisch kreischend folgte ein Prankenhieb dem anderen, mit dem Ziel soviel Schaden wie nur möglich zu verursachen. Die Bestien waren im Begriff, sich gegenseitig zu zerfleischen.
Nokturijè schlug hart mit ihrem Hinterkopf auf den gefrorenen Boden auf. Desorientiert, nach einem verschwindend kurzen Augenblick der Besinnungslosigkeit, sah sie über sich, ein leicht verschwommenes, schemenhaftes Gesicht, welches sich von einem zum anderen Moment deutlicher wurde – es war Cameron, der direkt auf ihr lag.
Erfreut darüber, zu sehen, dass er noch am Leben war und der todbringenden Kälte trotzen konnte, lächelte sie ihn an. Er versuchte, dies zu erwidern, doch der Ausdruck in seinem Gesicht wandelte sich. Sein Blick wurde unvermittelt glasig, völlig starr blickte er sie an.
Vom Schmerz gezeichnete Tränen stiegen Cameron in die Augen. Dann sah die Mè, wie Blut aus Mund und Nase des Colonels zu tropfen begann. Kurzatmig hob er seinen Oberkörper leicht an, um seinen paralysierten Blick an sich hinabwandern zu lassen. Als er das sah, was er bereits erahnte, atmete er einige Male verzweifelt flach aus. Nokturijè folgte seinem Blick und glaubte, ihr Herz bliebe stehen. Knapp oberhalb seiner Leisten hatte sie, ohne es zu wissen, ihre Klingen in ihn hineingebohrt.
»Verfluchte Scheiße«, keuchte Cameron.
Noch niemals zuvor in ihrem langen Leben verspürte sie eine Empfindung dieser Art – Hilflosigkeit.
Unzähligen Wesen sah sie bei ihren letzten Atemzügen zu, da zumeist sie, die Rächerin der Ungerächten, der Grund für deren unausweichliches Ende war. Doch Cameron hatte den Tod nicht verdient – er war ein guter Mensch. Anders als all die anderen, welche ihre Klingen zu spüren bekamen. Er hatte es nicht verdient zu sterben. Schon gar nicht durch ihre Hand.
Cameron zuckte, als Nokturijè ihre Klingen wieder einfuhr, und sackte kraftlos über ihr zusammen. Mühsam schob sie den schweren muskulösen Mann, der regungslos auf ihr lag von sich, richtete sich auf und zog ihn sogleich mit seinem Rücken an ihren Oberkörper heran. Mit aller Kraft presste sie ihre Hände stark auf seine Wunden, und auch wenn er noch am Leben war, konnte sie spüren, wie seine Atmung zunehmend flacher wurde.
»Cameron! Es tut mir ja so leid. Stirb jetzt bitte nicht. Du musst durchhalten. Bitte Cameron! Ich brauche dich!«, flüsterte sie ihm verängstigt und mit Tränen in den Augen ins Ohr.
Doch Cameron reagierte nicht.
Hilflos und verzweifelt sah sich Nokturijè um, wodurch ihr auffiel, dass der Kampf zwischen den Bestien längst entschieden war. Der Gewinner, der größere der beiden war in
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