Sternenfinsternis (German Edition)
der vielen Bars der unteren Bezirke, der Arme der Bastille. Dort setzte er sich an einen freien Tisch am Fenster und beobachtete die vorüberziehenden Lichtfäden des Hyperstreams. Währenddessen dachte er über alles Mögliche nach – meist kreisten seine Gedanken um seinen Vater, dem er noch einmal begegnen durfte, um ihm zu zeigen, dass er ihm alles andere als gleichgültig war, wofür er inzwischen wirklich dankbar war. Oder er dachte an seinen treuen Freund Joey, von dem er sich nicht verabschieden konnte. Manchmal war es auch Iash, Huns und seine Mÿnotrôn, die ihn beschäftigten. Er versuchte, einen Sinn hinter all dem, was geschah, zu sehen, doch diese Erkenntnis blieb ihm gänzlich verborgen. Er hatte inzwischen vollkommen das Gefühl für Tag und Nacht verloren und seine Schlafphasen wurden zunehmend kürzer. Er hatte keine Ahnung, ob diese Auswirkungen dem andersartigen Hyperstream zuzuschreiben waren oder der zunehmenden Trostlosigkeit und dem Unmut ihres nahezu aussichtslosen Kampfes, der ihnen bevorstand. Lucas wusste nur, dass es ihm immer schlechter ging, wie ein viraler Infekt, der sich mehr und mehr in seinem Körper ausbreitete und diesen systematisch schwächte.
Auch Cameron auf der Mÿnotrôn-Sphäre hatte jegliches Gespür für Zeit verloren, jedoch aus einem vollkommen anderen Grund, als sein junger Freund auf der Bastille.
Nokturijè und der Colonel lagen auf dem nur spärlich mit Stoffen ausgelegten Boden der Kommandobrücke. Ihre nackten Körper nur mit dünnen Tüchern verhüllt.
Sanft strich Cameron der Mè, die ihren Kopf auf seiner Brust abgelegt hatte, mit den Fingerspitzen über ihren Rücken. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie hier schon lagen, er wusste nur, dass er trotz der Ungewissheit, was ihnen bevorstehen würde, noch nie so glücklich in seinem Leben war wie in diesem und den vergangenen Momenten.
»Ich bekomme diesen Tag, an dem ich auf Gol beinahe mein Leben verlor, nicht mehr aus dem Kopf«, brach Cameron das Schweigen. »Als ich in das Eis eingebrochen war und plötzlich nur noch Wasser um mich herum sah, dachte ich, dass mein letztes Stündlein geschlagen hätte. Von mir aus hätte uns noch mal eines von diesen weißen zotteligen Dingern begegnen können – alles wäre besser gewesen, als beinahe zu ertrinken.«
»Woher kommt deine Angst vor diesem Element?«, fragte Nokturijè interessiert.
»Er war der beste Schwimmer unserer Stadt und er ertrank. Ist das nicht irgendwie Ironie. Ein hervorragender Athlet fällt seinem Element zum Opfer.«
»Wer war er? Erzähle mir davon«, wollte sie wissen und hob ihren Kopf an, um ihn ansehen zu können.
»Mein Vater kam auf die glorreiche Idee, Ferien in den Bergen Kanadas zu machen. Wo er sich als Technologiegegner sicher sein konnte, dass keiner von uns seine Zeit bei Freunden vor der Glotze vergeuden konnte. Eine Holzhütte direkt an einem kristallklaren See. Josh war anders als ich und sofort Feuer und Flamme für dieses Unternehmen. Zwei Wochen lang schien alles in bester Ordnung. Wir waren jeden Tag im Wasser. Er liebte es, auf die kleine Insel, inmitten des Sees zu schwimmen, ich war jedoch zu feige und zu schwach, das genaue Gegenteil von ihm. Zum Ende des Urlaubes schaffte er es doch noch, mich dazu zu überreden, mit ihm zu schwimmen. Er war der Ältere, auch wenn es nur ein Jahr war, doch ich vertraute ihm. Bereits auf halber Strecke bemerkte ich, dass ich anfing zu schwächeln. Josh war bereits auf der Insel angekommen, als ich die Kontrolle verlor und mich nicht mehr über Wasser halten konnte. Schneller denn je schwamm er, um mir zuhilfe zu eilen. Von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich weiß nur noch, wie ich am Ufer der Insel aufwachte und Josh war fort. Zuerst dachte ich, dass dies wieder nur einer seiner Streiche war, aber ich wartete vergeblich. Als es dann langsam dunkel wurde und unsere Eltern sich zu sorgen begannen, fuhr mein Vater mit dem Boot raus. Als ich meinen Vater alleine sah, wusste ich, dass mit Josh was Schlimmes passiert war. Eine Woche dauerte es, bis man seinen Körper schließlich fand. Unsere Familie war nie mehr wie zuvor, und auch wenn mir meine Mum stets versicherte, dass es nicht meine Schuld war, gab ich sie mir dennoch. Hätte ich mich nicht überreden lassen oder wäre er nicht zu mir zurückgeschwommen, würde er heute noch leben«, erzählte Cameron ihr trauernd.
»Vielleicht«, entgegnete Nokturijè. »Doch dann hätten wir uns nie kennengelernt und ich
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