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Sternenjäger (Wolkenpanther & Wolkenpiraten)

Sternenjäger (Wolkenpanther & Wolkenpiraten)

Titel: Sternenjäger (Wolkenpanther & Wolkenpiraten)
Autoren: Kenneth Oppel
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Lunardi.
    »Nun ja, jeder mag Paris«, meinte Kate.
    »Sie beide werden der Stadt des Lichts erst einmal au revoir sagen müssen«, sagte Lunardi. »Wir brauchen Sie am Donnerstag in Löwentorstadt.«
    »Löwentorstadt?«, fragte ich. »Findet die Ausbildung dort statt?«
    »Ich dachte, das würde Ihnen gefallen«, meinte Mr Lunardi. »Sie fahren nach Hause.«

5. Kapitel
Löwentorstadt
    Bei meiner Ankunft in der Morgendämmerung waren die Spitzen von Löwentorstadt bereits erglüht, als unser Schiff zur Landung hereinkam. Ich hatte vergessen, wie hoch und prächtig die Stadt war mit ihren Wolkenkratzern, die sich bemühten, mit den sie umgebenden Berggipfeln zu wetteifern.
    Als ich die Landebrücke hinunter auf das Flugfeld ging, wurde mir plötzlich bewusst, wie sehr mir das Meer und die Berge gefehlt hatten. Fast zwei Jahre waren nun vergangen, seitdem ich das letzte Mal hier gewesen war, und als ich mit meinem Gepäck im Taxi saß, nannte ich dem Fahrer die falsche Adresse, weil ich automatisch an die alte Wohnung in Gastown dachte, wo ich aufgewachsen war.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »wir fahren raus nach Kitsilano.« Die neue Adresse klang fremd für mich.
    »In Ordnung, Sir«, sagte der Fahrer.
    Ich war froh, dass unser Weg durch die Innenstadt führte. Es war Donnerstag und die Stadt war schon hellwach und geschäftig. Paris mit seinen alten Boulevards und Gebäuden war wie eine ordentliche Symphonie, doch Löwentorstadt war ganz Ragtime und Jazz. Karren und Lastwagen wurden an Märkten, Fabriken und großen Kaufhäusern entladen, und das Hupen, das Geschrei, die Motorabgase, der Zigarettenrauch, der Geruch von nassem Straßenpflaster, Pferdemist und das Scheppern der Straßenbahnen…
    »Oh, oh«, sagte der Fahrer, »da vorne sieht es nach mächtig Ärger aus.«
    Ich spähte an ihm vorbei durch die Windschutzscheibe und sah, dass uns mitten auf der Straße eine Menschenmenge entgegenkam. Da waren massenhaft Damenhüte und auf und nieder tanzende Plakate zu sehen, doch ich konnte noch nicht lesen, was draufstand.
    »Ist das ein Umzug?«, fragte ich.
    Er schnaubte. »So was in der Art. Das sind diese Frauen, die wählen wollen.«
    »Die Suffragetten?«, fragte ich.
    »Genau die. Gestern Abend hatten wir Mrs Pankhurst in der Stadt, die eine von ihren Reden abgezogen hat, und jetzt sind unsere Frauen völlig aus dem Häuschen.«
    Ich hatte die Suffragetten bereits im Frühjahr durch Paris marschieren sehen. Überall in Europa und Nordamerika schlossen sich die Frauen zusammen und verlangten das Wahlrecht.
    »Das wird denen sowieso bald langweilig«, sagte mein Fahrer. »Wählen ist eine ernsthafte Angelegenheit. Die werden die Verantwortung gar nicht haben wollen. Wir tun ihnen doch nur einen Gefallen. Meinen Sie nicht auch?«
    »Ich sehe nicht ein, warum sie nicht wählen sollten«, sagte ich.
    »Sie sind noch jung, entschuldigen Sie, wenn ich das sage. Mal sehen, ob wir mit einem kleinen Umweg… verdammt, sie haben die Cordoval blockiert. Wir müssen einfach warten, bis sie vorbei sind.«
    Er fuhr an die Seite. Binnen Kurzem war der Wagen vollständig von Frauen umgeben, die schrien: »Wahlrecht für Frauen!«, und: »Gleichheit statt Sklaverei!« Mein Fahrer saß über das Lenkrad gebeugt und schwenkte die Arme, als wollte er Mücken vertreiben. Die Frauen achteten nicht auf ihn und trieben in ihren dunklen Röcken, weißen Blusen und Sommerhüten vorbei. Ein paar von ihnen schlugen vergnügt auf die Hupe des Wagens, was meinen Fahrer veranlasste, die Hände fester um das Lenkrad zu klammern.
    »Ihr behindert unseren Umzug!«, hörte ich rechts von mir eine bekannte Stimme rufen und eine Hand klatschte herrisch auf das Autodach. Ich blickte aus dem Fenster und direkt in Kate de Vries’ Gesicht, die ein Schild in den Händen hielt. Erstaunt schaute auch sie mich an.
    »Hallo!«, sagte sie fröhlich, als ich das Fenster runterkurbelte. »Willkommen zu Hause! Du musst gerade angekommen sein.«
    »Ich bin auf dem Weg zu meiner Mutter.«
    »Ihr hättet eine andere Strecke wählen sollen.«
    Mein Fahrer stieß ein hohles Lachen aus.
    »Was steht auf deinem Schild?«, fragte ich.
    Sie seufzte. »›Neue Gesetze für ein neues Jahrhundert!‹ Ich wollte ›Gleichheit oder Tod!‹, aber das war schon vergeben.«
    »Wissen deine Eltern, was du da machst?«
    »Die denken, ich wäre in der Bibliothek und würde moralisch aufbauende Literatur für junge Damen lesen.«
    Der Fahrer beobachtete uns im Rückspiegel.
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