Sternenkinder
Auseinandersetzungen im Weltraum trainiert. Vor dem verweichlichten alten Kommissar ließ er sich nichts anmerken; dazu war er viel zu stolz. Aber er spürte es auch. Schließlich waren sie beide Produkte einer Milliarden Jahre langen gemeinsamen Evolution auf dem Grund eines Schwerkraftschachts, und wenn komplette Welten aus dem Nichts auftauchten, wurde etwas Tiefem und Altem in ihrem Innern angst und bange.
Die Umrisse der beiden Welten wichen deutlich von der Kugelform ab, weil sie einander so nah waren. Der Abstand zwischen ihnen betrug nur den vierzehnfachen Durchmesser des Pluto; demgegenüber war der Erdmond dreißig Erddurchmesser von seinem Mutterplaneten entfernt. Es war ein echter Doppelplanet. Dieses seltsame kleine System wurde von einer fernen, stecknadelgroßen Sonne matt erleuchtet, und das trübe Licht verlieh den beiden Welten etwas Träumerisches, Unwirkliches. Aber sie hatten eine verblüffend unterschiedliche Färbung: Der Pluto war blutrot, Charon eisblau.
Nilis machte ein paar zerstreute Bemerkungen über die Farben. »Das hat mit der unterschiedlichen Bodenzusammensetzung zu tun. An Charons Oberfläche gibt es viel mehr Wassereis… Ein sehr bemerkenswerter Anblick, nicht wahr, Ensign?«
»Ja, Sir.« Und das stimmte auch.
Sie waren auf der Suche nach der »Gravastar«-Technologie hierher gekommen, von der Nilis im Archiv auf dem Mars erfahren hatte. Pirius betrachtete die Doppelwelt und fragte sich, womit er sich hier wohl herumschlagen musste, bevor sie bekamen, was sie wollten.
Vor ihnen strudelte ein virtuelles Bild, das sich aus einer Wolke würfelförmiger Pixel formte. Es war ein kleiner, rundlicher Mann, der die triste Tracht eines Kommissars trug. Er hatte einen gewaltigen Bauch, kurze Beine und einen runden, glatt rasierten Schädel. Das Bild war ungeschickt projiziert, sodass der kleine Mann ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben schien.
Als die Gestalt Nilis und Pirius sah, stieß sie ein bellendes, nervöses Lachen aus und gestikulierte heftig mit den kleinen Händen. »Willkommen, willkommen! Willkommen bei Pluto-Charon und in unserem Forschungszentrum. Ich heiße Draq. Sie müssen Kommissar Nilis sein – und Sie sind der Ensign von der Front, nicht wahr? Ich habe alle Virts über Sie gesehen.«
Pirius hatte auch einige davon gesehen. Es waren zeichentrickartige Darstellungen von Pirius Blaus Manövern beim Magnetar, eine auf Breitenwirksamkeit bedachte Produktion des Ministeriums für öffentliche Aufklärung. Pirius erkannte sich in der hohlwangigen, kahl rasierten, Doktrinen absondernden Karikatur, die seinen Namen trug, kaum wieder. »Glauben Sie nicht alles, was Sie sehen, Sir«, sagte er. »Und außerdem ist die ganze Episode aus der Zeitlinie gestrichen worden. Es wird nicht passieren.«
»Oh, aber das spielt kaum eine Rolle, nicht wahr? Im Archiv der Zukünfte werden ständig solche Änderungen vorgenommen. Aber ich war schon immer der Ansicht, dass potenzieller Heroismus ebenso bewundernswert ist wie echter.«
Nilis mischte sich ein. »Draq, sagen Sie? Haben Sie hier die Leitung?«
Draq blies sich auf. »Ja und nein! Wissen Sie, es gibt nur sehr wenige von uns Kuratoren, Kommissar Nilis, und wir sind schon ziemlich lange hier. Die Dinge sind – nun ja – informell.« Er ließ erneut seine Hände flattern, und das virtuelle Bild verschob sich, bis es lautlos mit der Hülle kollidierte; Pixel flackerten über Draqs runden Rücken. »Sie müssen mir meine Aufregung vergeben. Wir bekommen nicht oft Besuch.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Nilis trocken. »Schließlich existiert Ihre Forschungseinrichtung offiziell gar nicht.«
Draq zog ein pseudo-ernstes Gesicht. »Ich gebe zu, es ist sonderbar, ein rechtliches Paradoxon zu sein! Aber die Arbeit ist so faszinierend, dass sie das wettmacht, glauben Sie mir.«
Pirius spürte, wie sich sein Gedärm verkrampfte, als der Antrieb der Korvette ansprang. Das Universum um ihn herum verschob sich subtil. Pluto-Charon glitt lautlos durch sein Blickfeld.
Draq sagte: »Ich habe Ihre Crew gebeten, auf unserem Raumhafen bei Christy zu landen. Oh, wir sind ja so aufgeregt!« Er verschwamm und zerbröselte.
»Wo sind wir hier, Kommissar?«, fragte Pirius.
»Du wirst schon sehen, Pirius. Du wirst schon sehen.«
Die letzten Augenblicke des Abstiegs waren nicht weiter bemerkenswert. Pirius erblickte eine flache, abwechslungsreiche Landschaft, grau-purpurrot im Licht eines aufgedunsenen Mondes, doch als
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