Sternenkinder
Pirius war empört. »Was sind Sie, ein Psycho-Offizier?… Entschuldigung.«
»Schon gut«, sagte Nilis gelassen. »Was hat sich denn deiner Meinung nach da draußen auf dem Eis in deinem Kopf abgespielt?«
Pirius suchte nach den richtigen Worten. »Es war nur… An einem Ort wie der Bogen-Basis wächst man in einem Steinbrocken auf. Das ist die ganze Welt. Man trainiert, man kämpft, man stirbt. Und das war’s. Es ist für alle dasselbe. Es kommt einem nicht mal in den Sinn, dass etwas anderes möglich wäre. Man stellt sich nie die Frage, weshalb das Leben so ist, wie es ist. Die Doktrinen sind einfach im Hintergrund vorhanden, genauso wenig hinterfragt wie… wie…«
»Wie das Gestein unter den Füßen.«
»Ja.«
»Und dann kommt man zur Erde«, fuhr Nilis sanft fort.
»Und dann kommt man zur Erde. Und auf einmal stellt man alles infrage.«
»Das Problem ist nicht der Zustand der Galaxis, weißt du, nicht einmal der Zustand der Erde.«
»Sondern?«
»Das Problem bist du, Pirius. Du entwickelst dich, und das ist nicht angenehm. Dein ganzes bisheriges Leben lang bist du von Organisationen mit jahrtausendelanger Erfahrung konditioniert worden. Aber seit ich dich von der Bogen-Basis weggeholt habe, bist du mit Dingen konfrontiert worden, die dieser Konditionierung widersprechen. Und weil du kein Dummkopf bist, machst du nun den nächsten Schritt. Du begreifst allmählich, dass du konditioniert worden bist. Ist es nicht so?«
»Ja, vermutlich«, sagte Pirius elend.
»Und du wirst den echten Pirius entdecken – falls etwas von ihm in dieser konditionierten Hülle steckt.«
»Und was dann?«
»Und dann«, sagte Nilis, »wirst du entscheiden müssen, wofür du kämpfen willst. Das ist natürlich meine Schuld. Ich habe auch nicht andeutungsweise damit gerechnet, wie schwer es für dich und Torec sein würde. Aber wir sind so verschieden, Pirius! Ich lebe auf der Erde – dort, wo die Menschheit nun einmal entstanden ist. Du hingegen bist in einer Art Flasche aufgewachsen. Ich reagiere auf die Rhythmen der sich drehenden Erde, du auf eine Uhr. Für mich fängt der Tag mit der Morgendämmerung an; für dich mit dem Wecken. In meiner Welt gibt es Vögel, Vögel und Blumen, in deiner nichts als Ratten. Selbst deine Sprache ist anders: Ich stehe mit beiden Beinen auf der Erde, stecke mit dem Kopf jedoch manchmal in den Wolken – aber solche Metaphern sagen dir nichts! Und du hast keine Geliebte, sondern eine Bettgenossin… Ich habe nicht vorausgesehen, wie unglücklich dich das machen würde.«
»Vielleicht hätten Sie es voraussehen sollen«, sagte Pirius grob.
Nilis rückte von ihm ab. »Aber ich hatte höhere Ziele. Was die Venus betrifft, bleibt es bei meinen Anweisungen.«
Er wandte sich ab und schaute zu der von Minen durchzogenen Oberfläche der umgemodelten Venus hinaus. »Weißt du, Kohlenstoff war schon immer die Grundlage der molekularen Nanotechnologie der Menschen. Mit modernster Technologie hergestellter reiner Diamant ist viel stärker und härter, als ein Metall es jemals sein könnte. Überall in der Galaxis bestehen unser Werkzeug, die Mauern unserer Häuser, die Schlachtschiffe und Korvetten unserer Flotten, ja sogar die Implantate in unseren Körpern aus Diamant und Nanoröhrchen – Kohlenstoffmoleküle, die früher in den dichten Wolken der Venus schwebten. Und so ist es seit zwanzigtausend Jahren. Wie die Erde hat diese Welt ihre Substanz exportiert, um eine galaktische Zivilisation aufrechtzuerhalten. Und wie bei der Erde…« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
»Wie bei der Erde sind ihre Reserven nun allmählich erschöpft«, sagte Pirius. So musste es sein, dachte er. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um es zu sehen. Die Luft war nach wie vor dicht, aber zweifellos nur noch ein kümmerlicher Rest des Ozeans aus Luft früherer Zeiten. »Aber die Venus war immer schon tot.«
»Nein, das stimmt nicht…«
In ihrer Jugend war die Venus warm und feucht gewesen, nicht viel anders als die Erde – obwohl sie sich aufgrund einiger besonderer Kollisionen in ihrer Frühgeschichte nur sehr langsam um ihre Achse drehte. Wie die Erde hatte die Venus rasch Lebensformen auf der Basis von Kohlenstoff, Schwefel, Stickstoff und Wasser hervorgebracht; und auf einer Welt, wo der »Tag« länger dauerte als das Jahr, hatten sich ein Klima sowie eine Fauna und Flora entwickelt, die komplex und einzigartig waren.
»Als das Klima umschlug und der Boden glühend heiß wurde«, sagte Nilis, »fanden
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