Sternenkinder
Nilis richtete sich auf. »Aber merk dir Folgendes: Deine wichtigste Ressource bist du selbst. Verschaff dir Zeit. Stütz dich mehr auf Pila. Achte darauf, dass du genug Schlaf bekommst, ordentlich isst und so weiter. Vernachlässige die Biologie nicht. Ich bin erleichtert, dass du beschlossen hast, morgen selbst zu fliegen. Schließlich habe ich vor allem deshalb darauf gedrängt, dass du Staffelführer wirst, weil du der beste Pilot bist, dem ich je begegnet bin. Also mach mit deinem eigenen Training weiter. Und noch etwas…«
Pirius setzte sich wieder in Bewegung und ging mit knurrendem Magen zum Speisesaal. Nilis folgte ihm mit leuchtenden Augen und ernstem Blick und traktierte ihn unterwegs mit Ratschlägen, Anweisungen und Argumenten.
Tags darauf saß Pirius Rot also nicht an seinem Schreibtisch, sondern an den Kontrollen eines Grünschiffs und »flog durch den Tunnel«, wie die Besatzungen es zu nennen begannen. Vor ihm befand sich die oszillierende, turbulente Scheibe eines Grav-Schildes, von deren Anblick ihm die Augen tränten, und um ihn herum waren Mauern aus verzerrter Raumzeit.
Die kleine Konstellation von Grünschifflichtern war stabil. Der unter Bürdes Kommando stehende Schwarm – Pirius hatte sich mit Bedacht auf die Rolle eines Piloten beschränkt – kam gut voran.
Genau im Zentrum des Schwarms war der von Jees geflogene Schildmeister. Die beste Pilotin der Staffel hielt ihr Schiff auch in dieser überaus schwierigen Umgebung fest auf Kurs. Pirius hatte ihr heute Torec als Navigatorin zugeteilt – aber in ihrer Ingenieurskapsel befand sich die massive Gestalt des Silbergeistes, der die Grav-Schild-Generatoren bediente.
Es war unkonventionell, aber es schien zu funktionieren. Selbst in Pirius’ eigenem Schiff war bislang alles glatt gegangen, obwohl er bewusst zwei relative Neulinge als Navigator und Ingenieur an Bord genommen hatte. Bis jetzt verlief alles so planmäßig wie bei einer Simulation, obwohl kein Flug, der an der improvisierten Nahtstelle zwischen zwei Universen entlangführte und an dem ein Silbergeist als Gastingenieur teilnahm, jemals Routine sein würde.
Als sie sich der Rekordzeit von zwei Flugstunden hinter einem Schild näherten, merkte Pirius, wie ein Teil der Spannung von ihm abfiel.
Nilis, ein Virtueller, der sich das unbequem enge Cockpit mit ihm teilte, war schon nach etwa einer Stunde so entspannt, dass er in den Funkverkehr zwischen den Schiffen hineinhörte. Ein Gespräch zwischen Diese Bürde Wird Vergehen, dem berüchtigten Wigner-Freund, und dem Silbergeist im Schiff an der Spitze faszinierte ihn besonders. Bürde nutzte die Gelegenheit, sich in Abwesenheit der Wächter mit dem Geist zu unterhalten.
»Du glaubst also«, ertönte die simulierte Stimme des Geistes, »dass dieses Universum im Grunde vergänglich ist – alles, was du empfindest, was du erreichst, selbst deine innersten Erfahrungen werden vergehen.«
»Nicht vergänglich im strengen Sinn«, erwiderte Bürde, »sondern nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten, die sich kumulativ in der zeitartigen Unendlichkeit auflösen, so wie Quantenfunktionen kollabieren.«
»Aber welche Basis für eine Ethik kann es in diesem Fall geben?«
»Für jede Entscheidung gibt es ethische Grundlagen«, sagte Bürde. »Sich seinen Kameraden gegenüber loyal zu verhalten – sich für seine Spezies in Gefahr zu begeben. Und obwohl dies nur eine von zahllosen Zeitlinien ist, wird sich das… äh… das Gute in jeder Zeitlinie unserer Überzeugung nach am Entscheidungspunkt in der zeitartigen Unendlichkeit zur Optimalität sammeln…«
»Faszinierend«, sagte Nilis im Flüsterton zu Pirius, als könnte jemand mithören. »In gewissem Sinn betreiben sie Spiegelfechtereien. Jeder von ihnen weiß viel mehr über die Überzeugungen des anderen, als er zugeben will. Sie betreiben Spiegelfechtereien und suchen trotzdem nach Gemeinsamkeiten.«
Pirius Rot mangelte es an moralphilosophischen Kenntnissen. »Was sie darüber gesagt haben, sich für andere in Gefahr zu bringen – das klang mir sehr doktrinell.«
»Ist es auch«, sagte Nilis. »Ein großer Teil der wignerianischen ›Philosophie‹ ist in Wirklichkeit wieder aufbereiteter Druzismus – wie nicht anders zu erwarten angesichts der Umgebung, in der sie entstanden ist. Hama Druz hat offenbar geglaubt, Eigennutz sei der wesentliche Motor jeder gedankenlosen menschlichen Handlung. Er hat gesagt, Soldaten seien die einzigen tugendhaften Bürger jeder
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