Sternenkinder
Himmel. Weit abseits des Kerns flogen sie nun durch die galaktische Ebene. Sie durchquerten den Sagittarius-Arm der Galaxis, eine ihrer sternenreichsten Regionen außerhalb des eigentlichen Kerns. Die vielen Sterne dort schienen jedoch weit verstreut und fern zu sein – und erstaunlicherweise war kein einziger von ihnen so nah, dass er als Scheibe erschien. Selbst zwischen den Sternen war der Himmel eigenartig, schwarz und leer. Pirius kam es so vor, als befände er sich in einer stillen, langweiligen, energiearmen Umgebung.
Nicht nur das; man konnte sogar erkennen, dass man in ein Sternentuch eingebettet war. Wenn Pirius direkt nach vorn schaute, traf sein Blick auf eine Art Horizont, ein schwaches Band aus grauweißem Licht, das die Position des galaktischen Äquators bezeichnete – das Licht eines chaotischen Konglomerats von Millionen Sternen. Außerhalb der Ebene, oben oder unten, gab es nur hier und dort ein paar Hand voll Sterne in der Nähe – man sah sofort, wie dünn diese Scheibe war –, und dahinter war nur Schwärze, der Abgrund des intergalaktischen Raums, wie er vermutete.
Die Korvette war nicht allein. Sie gehörte zu einem Strom von Schiffen, einem gewaltigen Faden schwimmender Funken, die über das Antlitz der Galaxis glitten. Wenn er den Blick über den Himmel schweifen ließ, sah er weitere Lichtströme, die alle mehr oder weniger parallel zu diesem verliefen: einige von ihnen in Richtung des Zentrums, andere zur Peripherie hinaus. Ab und zu kam ein Schiff aus ihrem Strom so nah heran, dass man Einzelheiten erkennen konnte. Es waren meistens Spline-Schiffe, riesige, fleischige Kugeln, zernarbt von glitzernden Waffen.
Nilis beobachtete ihn. Pirius fühlte sich ein wenig befangen.
Nilis machte eine Handbewegung. »Fantastisch, nicht wahr – das alles? Eine menschliche Galaxis! Wenn man natürlich aufs Geratewohl irgendwo in die galaktische Ebene hinunterginge, würde man wohl kaum irgendwelche Hinweise auf die Anwesenheit der Menschen erkennen. Wir folgen einer altbekannten Route, Ensign, einem Weg, auf dem sich Schiffe zum gegenseitigen Schutz in Konvois zusammenscharen – allein schon dieser Konvoi ist mehrere hundert Lichtjahre lang. Und du kannst die Marine-Splines sehen, die den Auftrag haben, uns zu führen und zu beschützen. Wir haben die Xeelee zu ihrem Hauptradianten im Kern zurückgetrieben, aber sie sind immer noch dort draußen – im galaktischen Halo, sogar in anderen Galaxien –, und sie sind nicht abgeneigt, von außerhalb der Scheibe herabzustoßen und Überfälle zu verüben.«
Pirius schaute nervös zu der dunklen Himmelskuppel hinaus.
»Aber trotzdem kann man selbst im galaktischen Maßstab das Wirken der Menschheit erkennen«, fuhr Nilis fort. »Denk daran! Auf aberhundert Millionen Welten überall in der galaktischen Scheibe werden Rohstoffe abgebaut, bearbeitet und in die endlosen Konvois verladen, die in den Kern strömen – und dort werden sie auf den Fabrikwelten in Waffen und Kampfschiffe verwandelt, die sodann ins Innere geschleudert und verbrannt werden, ausgelöscht durch die unaufhörliche Reibung der Front. Natürlich sind viele Welten nach so langer Zeit tot, verbraucht, erschöpft und verlassen. Aber es gibt immer neue, die man ausbeuten kann. Und so geht es offenbar weiter, bis sich in der ganzen Galaxis keine Nahrung für den Krieg mehr finden wird, nachdem sie bis zum letzten Rest nur einem einzigen Zweck gedient hat.«
Pirius wusste nicht recht, was er sagen sollte. »Das ist bemerkenswert, Sir.«
Nilis zog eine Augenbraue hoch. »Bemerkenswert? Ist das alles?« Er seufzte. »Die Koalition missbilligt das Geschichtsstudium, weißt du. Damit folgt sie den Druz-Doktrinen in ihrer strengsten Form. Es gibt keine Vergangenheit, keine Zukunft: Es gibt nur das Jetzt. Und es ist ein Jetzt des ewigen Krieges. Aber ich habe in die Vergangenheit zurückgeschaut. Ich habe in Aufzeichnungen und Bibliotheken – offiziellen und anderen, teilweise sogar illegalen – nachgesehen. Und ich habe gelernt, dass wir uns dieser einen Sache, Expansion oder Krieg, schon seit zwanzigtausend Jahren verschrieben haben. Und dabei ist die menschliche Gattung überhaupt erst ein paar hunderttausend Jahre alt!
Das ist zu lange. Wir sind erstarrt, verknöchert. In unserer Politik, unseren Gesellschaftsstrukturen, ja sogar unserer Technik gibt es keinerlei Weiterentwicklung. Die Wissenschaft ist dem Tode geweiht, mit Ausnahme der Waffenkunde. Unser Leben verläuft in jeder
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