Sternenkinder
Faya wirkte schwerfällig, statisch, dunkel, ausgelaugt von der Zeit, wie ein Steinklumpen vom Mond. Es war schwer, sich vorzustellen, dass sie jemals jung gewesen war, jemals getanzt hatte.
Torec fragte: »Was macht ihr hier?«
»Wir erforschen die dunkle Materie«, sagte Faya.
»Warum?«
»Weil Luru Parz außerirdische Einflüsse auf die Entwicklung des Sol-Systems zu verstehen sucht.«
Torec und Pirius wagten es, sich einen Blick zuzuwerfen. Sie sind alle verrückt.
Pirius wusste theoretisch über dunkle Materie Bescheid. Sie war ein unsichtbarer Schatten der normalen, »hellen« Materie, die aus Protonen und Neutronen bestand. Der dunkle Stoff interagierte nur durch Schwerkraft mit normaler Materie. Man konnte ihn nicht verbrennen, wegschieben oder ernten, außer mit einem Gravitationsfeld. Und er war harmlos, er durchdrang helle Materie, als wäre sie nicht vorhanden. Piloten oder Navigatoren lernten, ihn zu erkennen, wenn sie auf ihn stießen; manchmal konnten gewaltige Dunkelmaterie-Riffe Gravitationsanomalien verursachen, die Auswirkungen auf den Kurs hatten.
Abgesehen davon war die dunkle Materie ohne jede Bedeutung. Pirius verstand nicht, weshalb jemand sie erforschte.
Aber Faya zeigte ihnen Virts. Das Sonnensystem hatte sich aus einer Materiescheibe gebildet, die sich einmal weit über die Umlaufbahn der äußersten Planeten hinaus erstreckt hatte. Die Masse der Scheibe war jetzt größtenteils in den Planetenkörpern gebunden, aber wenn man die Planetenmassen über ihre Raumsektoren verteilte, bekam man eine ziemlich glatte Kurve, die zeigte, dass die Masse der Scheibe mit wachsender Entfernung zur Sonne gleichmäßig abgenommen hatte, genau wie man es erwarten würde.
»Bis man zum Neptun kommt«, sagte Faya. Am Rand des Kuiper-Gürtels fiel die Masseverteilung steil ab. »Hier draußen gibt es viele, teilweise massive Körper. Der Pluto ist einer, Port Sol ein anderer… aber insgesamt haben sie nur ungefähr ein Fünftel der Erdmasse. Es hätte hier tausende kleiner Welten mindestens von der Größe des Pluto geben müssen. Etwas hat all diese Planetesimale entfernt – und zwar vor langer Zeit, als das Sonnensystem noch sehr jung war.«
Sie gab ihnen einen kurzen Überblick über die existierenden Theorien. Möglicherweise waren die fehlenden Welten aus ihren Umlaufbahnen geworfen worden, als der junge Neptun durchs Sonnensystem wanderte und seinen endgültigen Orbit ansteuerte. Vielleicht gab es einen weiteren großen Planeten dort draußen im Dunkeln, der die Umlaufbahnen der Objekte störte – aber man hatte keinen solchen Planeten gefunden. Womöglich hatte auch ein vorbeiziehender Stern die Kuiper-Wolke weit gehend ihres Reichtums beraubt. Und so weiter.
»Das klingt alles nicht sonderlich überzeugend«, meinte Pirius.
»Wenn die Menschheit im Verlauf ihrer Expansion zu den Sternen eines gelernt hat«, sagte Faya Parz, »dann, dass die erste Erklärung für jedes unwahrscheinliche Phänomen Leben ist.«
Luru Parz war hierher gekommen, um die Spuren dieser uralten Plünderung zu studieren. Ihre erste Theorie lautete, dass es etwas mit der dunkle Materie zu tun haben könnte. Dunkle Materie kam in der galaktischen Ebene und im Innern des Sol-Systems relativ selten vor. »Aber hier draußen ist sie zu finden«, sagte Faya, »wo die Sonne weit weg und die baryonische Materie dünn gesät ist.«
Pirius versuchte, das Gehörte zusammenzusetzen. »Und ihr glaubt, die dunkle Materie beherbergt Leben. Intelligenz.«
»O ja.« Fayas Augen waren verhangen. »Im Universum gibt es sechsmal so viel dunkle Materie wie baryonische. Wohin wir auch schauen, überall wimmelt die baryonische Materie von Leben. Warum nicht auch die dunkle Materie? In der Vergangenheit ist sie von Menschen erforscht worden. Wir sind im Besitz einiger Aufzeichnungen. Luru glaubt sogar, dass ein Konflikt zwischen Intelligenzen der dunklen und der hellen Materie im Gange ist – ein unsichtbarer Konflikt, noch fundamentaler als unser Krieg gegen die Xeelee. Die Qax haben zwar einen großen Teil unseres Erbes vernichtet, aber es gibt Hinweise in den erhalten gebliebenen Aufzeichnungen aus der Zeit vor der Besatzung.«
»Und das hat etwas mit der fehlenden Masse des Kuiper-Gürtels zu tun?«
»Wir haben es nicht ausgeschlossen. Aber inzwischen haben wir etwas noch Seltsameres gefunden.« Faya schnippte mit den Fingern. Ein virtuelles Bild rotierte in der Luft. Es war ein Tetraeder, wie Pirius sah, vier dreieckige
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