Sternenkinder
Luru Parz anfunkelte, brannte blanker Hass in seinen Augen.
Der vorgebliche Zweck dieser langen Reise war eine Diskussion über die Zukunft von Nilis’ Projekt Hauptradiant. Deshalb führte Luru Parz Nilis, Gramm und Pila zu einem Konferenzraum und ließ Pirius und Torec in der Obhut von Faya Parz zurück.
Faya fragte, ob die Ensigns sich ausruhen wollten. Aber sie waren tagelang auf der Korvette eingesperrt gewesen und konnten es kaum erwarten, den Rest von Port Sol zu sehen. Faya fügte sich anstandslos.
Sie begannen mit einem langsamen Rundgang durch die Mayflower-Grube.
Der riesige, überkuppelte Eisbruch war von einem Ring wesentlich kleinerer Satellitenkuppeln umgeben. Dahinter lagen weitere Anlagen. In den Bereichen außerhalb der Kuppeln, wo kein normaler Atmosphärendruck herrschte, erkannte Pirius Kraftwerke, Landeplätze, Trauben von Sensoren und Teleskope, die zum sternenübersäten Himmel hinaufschauten. Aber keine Waffen; offenbar rechnete man an diesem uralten, rätselhaften Ort nicht damit, ein Angriffsziel für die Xeelee oder irgendjemand anderen zu werden.
Dies waren offensichtlich moderne Anlagen. Die noch ältere Landschaft von Port Sol – die alten Sternenschiffeisbrüche, die herabgefallenen Städte, die implodierten Kuppeln – lag verlockend hinter einem stark gekrümmten Horizont verborgen.
Die Kuppeln wurden größtenteils von Labors, Arbeitsbereichen und Wohnquartieren eingenommen. Aber es war eine öde, funktionelle Umgebung. In den Labors und Wohnbereichen gab es nichts Persönliches: keine Virts, keine künstlerische Ausgestaltung, keine Unterhaltungskonsolen, nicht einmal ein Graffito. Auf der Bogen-Basis herrschten strenge Vorschriften für solche Dinge – überall in der druzitischen Galaxis wurde Individualität offiziell als Ablenkung von der Pflicht missbilligt –, aber trotz ihrer oberflächlichen Gleichförmigkeit war jede Koje in jedem Gang auf jeder Ebene einer Kasernenkugel ein wenig anders; ihr Besitzer hatte sie modifiziert, sodass sie seine Persönlichkeit spiegelte.
Hier jedoch nicht; die Menschen, die hier lebten, mussten über außergewöhnliche Disziplin verfügen.
So weit die Ensigns sahen, gab es hier ohnehin nicht viele Menschen. Einmal erhaschten sie einen Blick auf jemanden, der in einem Labor arbeitete, einem Raum voller glänzender, metallischer Geräte und anonymer weißer Kästen. Riesige schematische Virts, die ein DNA-Molekül zu zeigen schienen, warfen einen Schatten auf die Gestalt, und Pirius konnte nicht einmal erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war.
»Es werden nicht viele von uns gebraucht«, sagte Faya Parz. »Wir sind nur dreiundzwanzig, einschließlich Luru. Aber sie ist heutzutage viel unterwegs.«
Torec fröstelte. Pirius wusste, was sie dachte. Für ein an die Menschenmengen von Kasernenkugeln gewöhntes Marinegör war das eine schrecklich geringe Zahl und dies hier ein furchtbar abgelegener und isolierter Ort: allein schon die Vorstellung, dass es auf Milliarden von Kilometern hinaus nicht mehr als zweiundzwanzig andere Menschen gab…
»Die Maschinen erledigen die ganze Arbeit – sogar den größten Teil der analytischen Tätigkeiten. Die Menschen sind hier, um Anweisungen zu erteilen, Ziele zu setzen, die letzte Interpretationsschicht zu liefern.«
»Fühlt ihr euch nicht manchmal einsam?«, fragte Torec. »Wie lebt ihr?«
Faya lächelte. Das versteht ihr nicht. Es war ein Gesichtsausdruck, an den Pirius sich bei der blasierten Erdbevölkerung gewöhnt hatte, aber er vermutete mit einem gewissen Unbehagen, dass es hier zutreffen konnte.
»Wir waren schon immer ein seltsamer Haufen, nehme ich an«, sagte Faya. »Ein Eismond ist eine kleine Welt mit knappen Ressourcen. Selbst in der großen Zeit waren wir nur wenige. Wir sind zu den anderen Monden gereist, um Handel zu treiben, des kulturellen Austauschs wegen und um Partner zu finden – das tun wir immer noch. Aber es gab keinen überschüssigen Raum; die Bevölkerungszahl musste immer streng kontrolliert werden. Darum war es Sache der Gemeinschaft und nicht eines Liebespaares, über Dinge wie Heirat und Kinder zu entscheiden.« Ihre Stimme klang sehnsüchtig, und Pirius fragte sich, welch alte Tragödien unter den nüchternen Worten verborgen lagen. »Wisst ihr, in den alten Zeiten gab es schwebende Städte. Es gab Tanz.«
Seltsamerweise klang es, als erinnerte sie sich selbst an solche Zeiten – als hätte sie einst in diesen herabgestürzten Palästen getanzt.
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