Sternenkinder
aus seinen Löchern trieb, bevor die Soldaten überhaupt auf ihn trafen. Das war jedenfalls immer das theoretische Konzept gewesen.
In der Praxis sah sich Pirius Blau jedoch im klebrigen Asteroidenstaub liegen, während die Feuerstöße in so dichter Folge über ihn hinweggingen, dass sie einen Vorhang aus Licht über ihm bildeten, und Granaten aus verzerrter Raumzeit keinen halben Kilometer vor ihm einschlugen. Das Bombardement schien den ganzen Asteroiden zu erschüttern. Der Eindruck einer Eruption physischer Energie um ihn herum war überwältigend, als konzentriere sich die gesamte Gewalt des galaktischen Zentrums auf diesen einen ramponierten alten Steinbrocken.
Bei dem Befehl vorzurücken, also eigentlich ins Feuer zu laufen, wurden ihm beinahe die Knie weich.
Der Erfolg dieser Taktik hing vom präzisen Timing ab, von der Koordination zwischen Artillerie und Infanterie und vom außerordentlich exakten Feuer der Kanoniere. Aber die Kanonen waren nur Maschinen, die Kanoniere nur Menschen, die Infanteristen waren nervös und verwirrt, und in einem unvollkommenen Universum war niemand gegen Fehler gefeit. Die Strategie hing also zu einem guten Teil von schlichtem Glück ab.
Und an diesem Tag verließ seinen Zug das Glück.
Pirius sah die tödliche Granate tatsächlich kommen. Wie ein Meteor schoss sie aus dem Sperrfeuer herab, das über seinen Kopf hinwegging. Über Helmfunk hörte er Offiziere Warnungen brüllen. Aber denen, die sich direkt in der Flugbahn der Granate befanden, konnte keine Warnung mehr helfen.
Es waren die Drillinge, sah Pirius. Er erkannte ihre individualisierten Uniformen. Einen letzten Augenblick lang klammerten sie sich aneinander. Die Granate landete direkt über ihnen. Es gab einen lautlosen Blitz, einen weiteren schweren Schritt eines Riesen, eine Schmutzfontäne.
Pirius rannte zur Einschlagsstelle. Im Asteroidenboden hatte sich ein perfekter, jungfräulicher Krater aufgetan.
Tili Eins war irgendwie unverletzt entkommen. Drei hatte eine Hand verloren, war jedoch bei Bewusstsein, wenn auch von Kummer überwältigt. Von Zwei war keine Spur zu sehen. Sie war in tausend Stücke zerrissen, ja geradezu atomisiert worden, dachte Pirius.
Über den Köpfen der kleinen Gruppe erstarb das Monopolsperrfeuer, wie zur Entschuldigung.
Marta, Cohl und Bürde waren alle da und standen mit ernsten Mienen herum, während die überlebenden Schwestern sich schluchzend aneinander klammerten. »Wenigstens ging es schnell«, sagte Captain Marta mit rauer Stimme. »Sie hat bestimmt nicht gelitten.«
Eine der Tilis drehte sich zu der Offizierin um. »Was ist das denn für ein Trost? Es war ein dummer Unfall.«
Bürde trat vor. Er legte beiden Tilis eine große Hand auf den Helm. »Es spielt keine Rolle«, sagte er. »Nichts davon spielt eine Rolle. Irgendwann kommt eine bessere Zeit, an einem besseren Ort. Dann werdet ihr mit eurer Schwester wieder vereint sein, und all dies wird bedeutungslos…« Und so weiter. Nach und nach trösteten seine Worte die Mädchen. Sie ließen den Kopf an seine Brust sinken, und er hielt sie fest, während sie elend weinten.
Das war zu viel für Cohl. Sie drehte sich zu Captain Marta um. »Was ist nur aus den Doktrinen geworden? Wenn Sie ihn solches Zeug faseln lassen, wofür ist sie dann gestorben?«
Marta musterte sie kalt. Die menschliche Hälfte ihres rekonstruierten Gesichts war ebenso starr und ausdruckslos wie die metallisierte Seite. »Seine Worte sind nützlich«, sagte sie schlicht.
Und das waren sie auch, wie Pirius nun sah, genau wie Bürde selbst gesagt hatte, und deshalb wurden sie geduldet. Es spielt keine Rolle, ob jemand an Michael Poole und all das andere glaubte oder nicht. Hier war alles einzig und allein auf die Zwecke des Krieges ausgerichtet: selbst die Tolerierung eines Glaubens, der die Rechtfertigung des Krieges unterminierte. Solange seine Anhänger bereit waren, in den Tod zu marschieren.
»Räumt hier auf«, blaffte Captain Marta, drehte sich um und ging davon.
Pirius und die anderen Freunde der Drillinge stützten die überlebenden Schwestern auf dem Rückweg zur Kaserne. Pirius hatte noch nie solchen Kummer wie ihren gesehen.
Aber es blieb keine Zeit, um sie zu trösten. Schon am nächsten Tag kamen neue Befehle: Pirius’ Kompanie sollte an die Front verlegt werden.
Für die letzten Vorbereitungen wurden Pirius und Kohl in ein Lazarett gebracht.
Hier injizierte man ihnen Nano-Maschinen in die Augen. Ihre Netzhäute wurden
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