Sternenkinder
neu aufgebaut und mit einer Technologieschicht überzogen, die ihren Augen helfen sollte, mit dem blendenden Licht des galaktischen Kerns fertig zu werden – und ihnen selbst, vielleicht ein paar Sekunden länger zu überleben. Natürlich hatten sie beide schon viele Implantate eingesetzt bekommen, sogar tief im Innern ihrer Schädel. Aber es war ihnen noch nie wie ein so direkter, gewalttätiger Übergriff vorgekommen.
Sie standen eine Nacht qualvoller Schmerzen durch. Pirius und Cohl waren nie zusammen gewesen, aber in dieser Nacht teilten sie sich eine Koje und weinten jeder in den Armen des anderen.
Als Pirius am nächsten Morgen in den Spiegel blickte, sah er das Silber in seinen Augen, und die Pupillen reflektierten sein Gesicht. Es schien, als wäre seine Seele mit Metall beschichtet worden.
ZWEITER TEIL
Die Qax, jene außerirdischen Besatzer der Erde, wollten die Menschheit auslöschen. Sie pulverisierten die Gesteinsschichten, verwüsteten die Ökologie, legten unsere Häuser und Wohnungen in Schutt und Asche und zwangen uns sogar eine neue Sprache auf. Mit diesen Mitteln versuchten sie, unsere Vergangenheit auszumerzen.
Und das war richtig von ihnen.
Die Vergangenheit ist eine Ablenkung, eine Quelle des Neids, der Feindschaft und der Verbitterung. Nur die Gegenwart zählt, denn nur in der Gegenwart können wir die Zukunft formen.
Kappt die Verbindungen zur Vergangenheit; sie ist totes Gewicht.
Soll die Auslöschung ruhig weitergehen. Bis ans Ende aller Tage.
Hama Druz
19
Der Mars beeindruckte Pirius Rot nicht.
Vom niedrigen Orbit aus kam er ihm wie eine langweilige, abgeschlossene kleine Welt vor. Abgesehen von den Eisresten an den Polkappen war er von einem gleichförmigen, ausgelaugten Rot. Der Mars war tot, oder so gut wie tot; das sah man schon vom Raum aus. Man brauchte sich nur seine abgetragenen Krater und die weichen Konturen der Berge anzuschauen.
Wenn man bedachte, dass diese Welt die erdähnlichste im Sol-System gewesen war, hatten die Menschen verblüffend wenige Spuren auf ihrer Oberfläche hinterlassen. Allerdings gab es jede Menge Ruinen. Früher einmal hatten ausgedehnte Arcologien das alte Antlitz dieser Welt mit irdischem Grünblau gesprenkelt. Aber diese Kuppelkolonien waren im Verlauf der Qax-Besatzung zerschlagen worden. Die größte hatte sich in einer Region namens Cydonia befunden, und vom Raum aus konnte man ihren ehemaligen Standort noch erkennen: der saubere Kreis des Kuppelrands, die kastenförmigen Umrisse der wenigen verbliebenen Gebäude, ein Netzwerk von Fundamenten. Doch der allgegenwärtige Staub hatte sie überdeckt und Linien und Farben fort gewaschen.
Eindrucksvoller war die Ruine eines klotzigen, von den Qax errichteten Bauwerks, einer Fabrik für exotische Materie. Ihre massiven, robusten Mauern standen selbst noch nach zwanzigtausend Jahren. In den Kriegen nach der Vertreibung der Qax, als Menschen gegen Menschen kämpften, waren die Fabrikruinen als Festung genutzt worden. Pirius schickte Torec virtuelle Bilder, um sie an die ähnlich aussehende Fabrik zu erinnern, die sie auf dem Mond erforscht hatte. Aber Torec war beim Saturn, wo sie immer noch am GZK-Prozessor arbeitete, und er hatte keinen Kontakt zu ihr.
Pirius’ Reaktion auf den Mars schien Nilis zu enttäuschen. Offenbar nahm dieser Planet einen sentimentalen Platz im Herzen der Erdenwürmer ein. Der Mars sei zwar eine kleine Welt, aber er habe ebenso viel Landfläche wie die Erde, sagte Nilis. Es gab Canyons, Berge und gewaltige Einschlagskrater – die gesamte nördliche Halbkugel schien sogar ein einziges riesiges Becken zu sein –, und das Ausmaß seiner Erhebungen, vom Boden der tiefsten Becken bis zum Gipfel der höchsten Berge, übertraf alles auf der Erde, selbst wenn man deren Meere als nichtexistent betrachtete.
Kein Marinegör würde sich jemals sonderlich für Geologie interessieren. Aber Pirius war fasziniert vom Olympus Mons, dem höchsten Berg im ganzen Sol-System. Dieser Berg war ihr Ziel. Denn in einer großartigen, erstaunlich arroganten Geste hatte die Interims-Regierungskoalition ihr Geheimarchiv in dieses mächtigste aller Monumente hineingebaut.
Die Korvette landete bei Kahra, der modernen Hauptstadt des Mars. Es war eine Stadt im irdischen Stil, eine Konurbation im Qax-Design, eine Reihe ins Grundgestein gesprengter Kuppeln. Hier lebten jedoch nur ein paar hunderttausend Menschen. Pirius erfuhr, dass es auf dem ganzen Mars
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