Sternenlaeufer
seines Freundes leer wurde. Wie viele hundert Male schon hatte er einen Lichtläufer bei der Arbeit beobachtet? Es war gut möglich, dass er selbst auch einen Hauch dieser Gabe besaß; sein ältester Sohn war ein ausgebildeter und talentierter Faradhi, und obwohl sich mit acht Jahren die Zeichen meist noch nicht zeigten, machte ihn nachdenklich, dass Jeni im letzten Sommer rundheraus abgelehnt hatte, an einer Segelpartie auf dem Faolain teilzunehmen. Ostvel freute sich, dass wohl mindestens zwei seiner Kinder die Gabe besaßen. Er hatte sich immer gefragt, wie es wohl sein mochte, Licht zu weben, mit Drachenschwingen zu fliegen und in dem Gefühl von Macht zu schwelgen, wenn sie Körper, Herz und Geist durchströmte. Aber er hatte auch gesehen, wie der Besitz dieser Gabe Alasen Schmerz und Entsetzen zugefügt hatte und dass es Jahre gebraucht hatte, bis dies verblasste. Und er hatte auch bemerkt, wie bekümmert Sionell darüber war, dass sie keine geeignete Partnerin für Pol sein konnte, weil sie die Gabe nicht besaß, selbst wenn sie ihm als Frau aufgefallen wäre. In seiner Jugend hatte Ostvel die Faradhi -Kräfte immer geehrt und geschätzt; Bedenken ihnen gegenüber hatten sich erst allmählich in seinem Verstand breitgemacht, zu allererst in jener Nacht, in der Sioned mit Hilfe dieser Kräfte beinahe Ianthe getötet hätte.
Donato taumelte plötzlich gegen die Schulter des Ponys. Ostvel stützte ihn. Er wusste, dass er ihn nicht mit Fragen ablenken durfte, ehe er völlig zurückgekehrt war. Einen Augenblick später rieb sich der Lichtläufer die behandschuhten Finger. Er schien verblüfft.
»Sie sind alle fort! Es ist, als wäre nie jemand da gewesen!«
»Du meinst, sie sind abmarschiert!«
»Ich meine, es gibt keinerlei Anzeichen für das Lager, das ich letzte Nacht gesehen habe! Keine Asche von Feuerstellen am Boden, keine Hufspuren, keinerlei Hinweis.« Er schüttelte den Kopf. »Ostvel, ich habe doch gesehen, was ich gesehen habe.«
»Schau noch einmal nach«, war die grimmige Antwort.
Es dauerte einige Augenblicke. Als er Ostvels Blick erneut begegnete, knetete Donato seine dünnen Finger, um sie zu wärmen. Seine Stimme war ausdruckslos, als er sagte: »Lord Morlens Gemahlin hält sich mit ihrer Tochter im Hof auf. Sie stehen vor einem Spiegel und kämmen ihr Haar, damit es trocknet. Der Diener, der den Spiegel hält, ist Fironese. Der kleine Knabe, der den Haarschmuck hält, ist eifrig bemüht, ihn nicht fallen zu lassen. Es ist alles so ein verdammtes Nichts!«, explodierte er. »Was ich gestern gesehen habe, ist verschwunden!«
Ostvel entfernte sich mit steifen Schritten ein Stückchen von dem Lichtläufer.
Ganz plötzlich blickte er über die Schulter. »Warum reibst du dir die Hände?«
»Es ist kalt.«
»So kalt aber nicht. Was ist denn mit deinen Händen los, Donato?«
Mit den Zähnen zog der Lichtläufer einen Handschuh aus. Seine Finger zitterten. »Gütige Göttin«, flüsterte er. »Sie fühlen sich an wie verbrannt.«
»Hexerei.« Das Wort klang schrill in der weißen Stille des Berges. »Du hast voll hineingelangt. Faradh’im arbeiten normalerweise bei Tage mit Sonnenlicht – bei Nacht ist das also nicht nötig gewesen. Da vertrauten sie auf die Wolken und darauf, dass die Monde sich nur kurz erheben.« Er stieß einen Stiefel in den Schnee. »Aber heute liegt Sonne über Rezeld.«
»Das ist unmöglich. Sie können doch nicht eine ganze Armee verstecken …«
»Dann hast du letzte Nacht vielleicht wirklich nur geträumt«, brummte Ostvel und wusste doch genau, dass das nicht der Fall gewesen war. »Wie können wir wissen, was sie alles tun können und was nicht? Andry hat selbst zugegeben, dass Lady Merisel in den Schriftrollen nicht alles erzählt hat, was sie wusste. Jetzt müssen wir unbedingt Rohan verständigen. Von Rezeld bis Drachenruh …«
Donato unterbrach ihn. »Pol ist selbst ein Lichtläufer. Er ist in Stronghold. In Drachenruh ist jetzt niemand, den man warnen könnte.«
»Dann werden sie einen Boten durch die Berge schicken müssen. Und einen Begleittrupp dazu, der dafür sorgt, dass die Nachricht übermittelt wird. Nimm sofort Kontakt mit Sioned auf.«
Während Donato seinen Befehl befolgte, ging Ostvel unruhig auf und ab. Er konnte sich ein Leben ohne Faradh’im nicht vorstellen, aber letztendlich waren sie denen gegenüber, die wussten, wo ihre Grenzen lagen, völlig nutzlos.
Donato war bleich und erschöpft, als er schließlich aus Stronghold
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