Sternenlaeufer
den Fenstern. Die Nachtluft trocknete den Schweiß auf seiner nackten Haut.
»Herr?« Ihre Stimme war weich, zögernd und wieder halb ängstlich. »Habe ich Euch missfallen?«
Pol ballte die Fäuste. Mondschein und die kühle Brise tauchten ihn in blasses Silber, und er schauderte. »Wie kommst du darauf?«
»… ich weiß nicht, wie sich ein Mann nach … nach …«
Er wirbelte herum. »Lügnerin!«, zischte er. »Wer bist du wirklich? Du bist doch nicht dieses verschüchterte, verängstigte Kind, das du mir so mühevoll vorgespielt hast! Wer bist du?«
»Herr – warum seid Ihr böse?« Sie setzte sich auf. Ihr Haar fiel um sie herab, als sie das Laken an ihre Brust drückte. Sie streckte eine Hand aus und sah ihn flehend an. Ihre Augen waren erfüllt von der Nacht und sahen aus wie zwei schwarze Höhlen in ihrem Gesicht.
»Wie sieht der Plan jetzt aus?«, verlangte er wütend zu wissen. Ihn quälte Zorn über den Verrat und verletzter Stolz. »Willst du behaupten, ich hätte dich vergewaltigt, damit dein Vater vor Gericht ziehen kann? Ihr seid es gewesen, die zu mir gekommen ist, meine Dame! Wer wird schon dem Vorwurf einer Frau glauben, die sich gekleidet wie eine bestellte Hure ins Schlafzimmer eines Mannes schleicht?«
Sie stöhnte auf und wich zurück. »Warum seid Ihr so grausam?«, hauchte sie. »Ich dachte, Ihr w-wolltet mich …«
»Ich will, dass du verschwindest. Sofort.« Er blieb, wo er war, mitten im reinen Mondlicht, weil er wusste, dass er sie wahrscheinlich schlagen würde, wenn er sich ihr näherte. Außerdem gab es eine bessere Vergeltung. Mit seidenweicher Stimme sagte er: »Ich bezweifle, dass dein Vater über dein Versagen sehr glücklich sein wird.«
»O nein! Bitte, erzählt meinem Vater nichts davon! Er würde mich umbringen!«
Pol nickte. »Ja, ich glaube, das würde er.«
»Herr – oh, Pol, bitte, du musst mich vor ihm beschützen …«
Er lachte laut. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Ich soll dich beschützen? Kennst du denn eigentlich keine Grenzen?«
Das Mädchen schluchzte ängstlich auf. Pol kehrte ihr den Rücken zu und starrte blicklos auf den Brunnen hinab.
Endlich hörte sie auf zu weinen, und er hörte das Rascheln ihres Nachthemds. »Herr?«, fragte sie leise. »Helft Ihr mir wenigstens, in meine Gemächer zurückzukehren ohne … ohne dass mich jemand sieht? Ich könnte die Schande nicht ertragen.«
»Ein bisschen spät, was?«, fuhr er sie an. Aber ein Mangel an Zeugen war nur zu seinem Vorteil. Er hatte sich ohnehin schon gefragt, warum noch niemand hereingestürzt war. Vielleicht hatte Miyon damit gerechnet, dass er bezaubert sein und der Geschmack von Meiglans süßem weißen Fleisch ihn veranlassen würde, sich offiziell zu erklären, und in dem Fall wären Zeugen einer »Vergewaltigung« nicht nötig.
So sagte er: »Also gut. Ich werde mich vergewissern …«
Er vergaß, was er hatte sagen wollen, als eine Welle von Übelkeit ihn übermannte. Er taumelte gegen den Fensterrahmen und hörte kaum noch, wie Meiglan seinen Namen rief. Farben wirbelten um ihn herum, fingen ihn in ihrer strahlenden Fülle ein und zogen ihn hilflos an langen Seilen aus gewebtem Licht weit fort von Stronghold.
Kapitel 21
Drachenruh: Frühjahr, 33. Tag
Ostvel war jenseits von Erschöpfung. Am Morgen war er nach kurzem Schlaf erwacht, der eher tödlicher Schwäche ähnelte, und hatte festgestellt, dass seine missbrauchten Muskeln steif und seine Knochen zerschunden waren. Die feuchte Frühlingsnacht ließ jedes Gelenk seines Körpers schmerzen, aber diese Qual war ihm inzwischen so vertraut, als hätte er nie etwas anderes kennengelernt. Seltsamerweise schwamm sein Kopf nicht mehr in der dicken Watte aus Müdigkeit. Alles war so klar geworden wie Fironeser Kristall. Alle Überlegungen, ob er Andry trauen sollte oder nicht, alle politischen Veränderungen durch den Marsch jener Armee gegen den Palast, alle Überlegungen über Motive und Gründe und Verantwortlichkeiten hatten sich aufgelöst, und alles war ganz einfach geworden. Es war so offensichtlich, wirklich. Er musste nach Drachenruh reiten. Er vermutete, dass er von Glück sagen konnte, dass er noch immer eine Ahnung hatte, warum das so war.
Den beiden Wachen, Chandar und Jofra, ging es besser als ihm. Aber sie waren auch jünger. Donato hatte während der ganzen Reise schrecklich ausgesehen, die inzwischen drei Tage oder drei Jahre dauern mochte, so genau wusste er das nicht mehr. Der Lichtläufer hatte sich
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