Sternenlaeufer
letzten Stadien. Die Droge muss ihr also verabreicht worden sein, kurz nachdem ihre so genannte Magd sie aus der Großen Halle geleitet hat. Pol hat uns erst sehr viel später verlassen.«
»Es würde nicht klappen, Sioned.« Er hörte die Verzweiflung in seiner Stimme und versuchte, sie zu beherrschen. »Du kannst nicht sicher sein, ob die Dosierung der Droge sich geändert hat, ob ihr mehr hinzugefügt worden ist, seit …«
»Aber Tobin und Feylin haben es bestätigt.«
»Ihr könntet euch alle drei irren.«
»Du weißt doch, dass wir das nicht tun.« Sie bewegte sich auf ihrem Stuhl. »Du weißt es ebenso gut wie wir, Rohan!«
»Gütige Göttin«, flüsterte er ganz ohne Stimme.
»Ianthe konnte ihre Gestalt nicht ändern, also hat sie mit Dranath deine Wahrnehmungen verändert«, erklärte ihm Sioned tonlos. »Diese Frau, diese Mireva, was hätte sie wohl getan, wenn Pol Zauberei gefühlt hätte? Selbst wenn nicht, wenn er erst einmal etwas über Meiglan herausfindet, dann kann er alles zusammenrechnen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ich ihn schützen kann.«
»Wir können es nicht. Nicht mehr.« Rohan war sich dessen jetzt sicher, und eine seltsame Erleichterung ging von diesem Wissen aus. »Er muss erfahren, wer er ist.«
Sioned sprang entsetzt auf. »Nein! Bitte, Rohan, bitte!«
»Es wird Zeit. Es muss heute noch sein.«
»Nein!«
»Möchtest du lieber zusehen, wie er stirbt, weil er eine Macht nicht einsetzen kann, nur weil er nicht weiß, dass er sie besitzt?«, schleuderte er ihr entgegen.
Grüne Augen blitzten in einem Gesicht von der Farbe weißen Kalks. »Wir könnten ihm erzählen, er habe das Diarmadhi -Blut von einem von uns bekommen, wir könnten …«
»Ihn belügen? Immer wieder? Wann hören die Lügen denn endlich auf, Sioned? Wen schützt du jetzt, Pol oder dich selbst?«
»Und was passiert, wenn er herausfindet, dass der Mann, der seinen Tod wünscht, sein eigener Bruder ist?«
»Er muss das eben akzeptieren!« Rohan wandte sich zur Tür, aber ihre nächsten Worte ließen ihn auf halbem Wege stehen bleiben.
»So, wie du ihn akzeptiert hast, als du in jenem Winter nach Stronghold zurückgekehrt bist? Du konntest einen von uns beiden kaum ansehen. Ich hatte dir einen Sohn geschenkt, den du nicht haben wolltest, und Pol war der lebende Beweis dafür, dass du nicht perfekt warst! Sollen wir ihm das auch erzählen?«
Er hörte, dass seine Stimme so eisig und spröde wurde wie sonst, wenn er mit jemandem sprach, den er nicht mochte. »Er wird heute Abend noch erfahren, wer er ist. Du kannst dabei sein oder auch nicht, wie es dir beliebt. Aber er wird es erfahren.«
Kapitel 24
Stronghold: Frühjahr, 34. Tag
Bei Sonnenuntergang stand Stronghold kopf. Wachen und Lichtläufer durchkämmten das Gebiet rund um die Burg, solange es noch hell war, konnten aber nichts Ungewöhnliches berichten. Rohan hatte es nicht anders erwartet. Ruval und Mireva würden sich ausrechnen, dass es zu einer derartigen Suche kommen würde, also musste es sie geben. Er hoffte, die Vorstellung hatte sie zufriedengestellt, so dass sein nächster Schachzug unerwartet kommen konnte.
Aber bevor er anfing, war da noch Pol.
Auf Rohans Bitte hin trafen sie sich noch einmal in der Bibliothek. Pol war gerade gekommen, als Sioned eintrat und sich auf ihre Seite ihres doppelten Schreibtisches setzte. Rohan hätte sein halbes Prinzentum darauf gesetzt, dass sie nicht kommen würde, besonders nach ihrer Auseinandersetzung am heutigen Tage, dass sie vor dieser Aufgabe fliehen würde, die sie so lange gefürchtet hatte. Aber sie erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
Pol hatte einen Stuhl nahe an Sioneds Schreibtischhälfte herangezogen. Angesichts des Schweigens seiner Eltern war er neugierig. »Worüber wolltet ihr mit mir sprechen?«
Rohan verschloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Tausendmal hatte er sich die Worte überlegt und hatte versucht, sich diesen Augenblick vorzustellen, die richtige Art zu finden, so dass er Pol und Sioned jeglichen Schmerz ersparen würde. Aber die Worte waren vergessen, und es musste Schmerz geben.
Sioned faltete die Hände auf dem Schreibtisch und senkte den schimmernden Kopf. Die grazilen Linien ihres Halses und ihrer Schultern wurden vom Kerzenlicht unterstrichen. Rohan hatte die Kerze schon früher entzündet. Er wusste, dass die Flammen getanzt und gezüngelt hätten unter der Gewalt ihrer Emotionen, wenn sie es mit
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