Sternenlaeufer
hingegeben, wenn sie geglaubt hätte, du seist tatsächlich Ianthes Sohn? Hat je irgendein anderer an dir Zeichen von Roelstra gefunden? Deine wahre Mutter steht hier vor dir und liegt nicht in der Asche unterhalb von Feruche!«
Endlich sah Pol Sioned an. Sie hatte die Arme um sich geschlungen und zitterte, und ihre Augen waren groß und flehend vor Schmerz und einer stummen Bitte. Er starrte sie lange stumm an. Ohne einen Vorwurf, aber auch ohne Verständnis. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
Er wusste nicht, dass er rannte. Doch auf einmal konnte er nicht mehr weiter.
Die Tür zur obersten Kammer im Turm der Ewigen Flamme hielt ihn auf. Er starrte einige Augenblicke lang verständnislos auf das geschnitzte Holz und stieß die Tür dann mit einer Schulter auf. Augenblicklich schlug ihm sengende Hitze vom Ewigen Feuer entgegen. Die Tür quietschte in den Angeln; er stieß sie zu, lehnte sich dagegen und versuchte Luft zu holen. Der intensive Feuerschein brannte in seinen Augen, und alle Farben, die er je gesehen oder von denen er geträumt hatte, wirbelten in der Mitte des Raumes und griffen nach ihm, als wolle eine Faradhi -Vision seine Sinne erfassen.
Luft kratzte in seiner Lunge. Er stolperte an ein Fenster und war doch unfähig zu atmen, so schmerzte es ihn in der Brust. Belogen, verraten, getäuscht, und das von den beiden Menschen, die er geliebt, denen er vertraut und die er mehr verehrt hatte als irgendjemanden sonst auf der Welt. Er schrie seinen Protest hinaus, ohne Worte und ohne Sinn. Das konnte ihm nicht passieren. Es war nicht richtig, es war nicht fair – wie hatten sie ihn nur so belügen können? Er hatte gedacht, sie würden ihn lieben und nur das Beste für ihn wollen. Und doch hatten sie ihm das angetan.
Die kühle, duftende Dunkelheit der Wüste legte sich über Stronghold. Der Nachthimmel über ihm war übersät mit Sternen. Er legte die Finger um die Steine, als könnte er sie auseinanderbrechen und in den stillen Garten aus Rosen und Wasser unter ihm hinabstoßen, um dann davonzufliegen wie ein Drache am Himmel.
Das war es, was ihn hier hinaufgebracht hatte. Das Bedürfnis, allem zu entkommen, Freiheit zu finden, einsam und wild die Muskeln seiner Flügel spielen zu lassen und schließlich zu fliegen. Er starrte auf seine nutzlosen Hände, und ein leises Stöhnen der Wut entrang sich seiner Kehle.
Das Feuer, das hinter ihm prasselte, hüllte ihn in Hitze und Schweiß, und er wusste, dass er sich nur umzuwenden brauchte und schon würde er in diesem Feuer Visionen heraufbeschwören können. Er konnte sicher auch Szenen aus der Vergangenheit lebendig werden lassen. Die Sternenrolle hatte ihn das heute gelehrt. Eine Vergewaltigung, ein gestohlenes Kind, ein Schloss, vernichtet durch Lichtläuferfeuer. Szenen, die stummes Zeugnis jener Lüge ablegten, die sein bisheriges Leben war.
Oder er konnte die Flammen höher und heißer aufflackern und sich von ihnen verzehren lassen.
»Pol?«
Voller Wut, dass jemand es gewagt hatte, hier einzudringen, wirbelte er herum. »Raus!«, brüllte er, noch ehe er die junge Frau erkannt hatte, die neben der schief geneigten Tür stand. Ihr dunkelrotes Haar war bereits von Schweiß getränkt, der auch ihre Haut mit einem Schimmer überzog. »Lass mich allein!«
Sionell zögerte, trat dann ein und brachte es auch fertig, die Tür hinter sich zuzudrücken. Sie lehnte sich mit dem Rücken dagegen, wie er es getan hatte, und ihre Stimme klang fast beiläufig, als sie sagte: »Du kannst von Glück sagen, dass ich die Einzige bin, die um diese Stunde noch herumläuft und dich sieht, wie du durch die Gänge stürmst wie ein rachedurstiger Drache.«
Es war ein schwacher Trost, dass niemand Zeuge seiner Flucht geworden war. Sionell hatte ihn gesehen. Und das würde er ihr niemals verzeihen. »Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, und dir am allerwenigsten!«
»Na, das hört sich genau so an wie der arrogante, kleine Knabe von früher. Der mich als lästiges Übel betrachtet hat. Das tust du wohl immer noch, nehme ich an.«
»Bring mich nicht dazu, dich fortzuschicken, Sionell. Geh einfach.«
Sie zog die Brauen hoch. »Als ich ungefähr elf Jahre alt war, hat deine Mutter einmal eine unserer ständigen Streitereien unterbrochen. Sie hat dir gesagt, dass ein Prinz, der andere an seinen Rang erinnern muss, kein richtiger Prinz ist.«
Sein ganzer Körper erstarrte, als sie seine Mutter erwähnte. Nicht seine Mutter. Seine Mutter war Prinzessin
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