Sternenlaeufer
ihm und schlug ihm ins Gesicht. »Zur Hölle mit dir«, zischte sie und rang nach Atem. »Grausamkeit und Untreue geben einen schönen Anfang ab! Du hast Recht, Pol, du bist genau wie dein Großvater! Warum lässt du dich nicht von Ruval umbringen? Dann musst du wenigstens nicht dein Leben lang allen anderen beweisen, was für ein Ungeheuer du in Wirklichkeit bist. Wie du es mir heute Abend gezeigt hast!«
Sie riss die Tür auf, und der Luftzug verwehte die Flammen. Im nächsten Augenblick war sie fort.
Rohan stand heimlich in einer Nische in der Nähe der Haupttreppe. Er versteckte sich nicht bewusst, aber er wollte beobachten, ohne mit endlosen Fragen bestürmt zu werden, während sich auf seinen Befehl hin jeder Raum in der Burg leerte.
Es war lange nach Mitternacht. Die Unterhaltungen waren deshalb meistens gereizt, wenn auch nicht direkt wütend, als Diener, Knappen, Wachen und Edle zusammen die Treppe herabkamen. Murmelnd und maulend drängten sie sich in der Eingangshalle, die von zwei hohen Kerzenleuchtern schwach erhellt wurde. Um sich die Zeit zu vertreiben, während das Schloss geräumt wurde, wettete Rohan mit sich selbst, dass er erraten konnte, was sie sagen würden. Meistens war es ziemlich leicht vorhersagbar.
»Was ist los?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Wir haben bereits vom Turm der Ewigen Flamme bis zu den Kellern gesucht …«
»Befehl vom Hoheprinzen. Tut es einfach!« Das war der Befehl eines Unterhaushofmeisters an eine Gruppe schlaftrunkener Mägde, die er die Treppe hinabtrieb.
»Aber warum soll jeder sein Zimmer verlassen?«
Rialt, der die letzten Stufen immer zwei auf einmal nahm, grinste: »Warum auch immer das angeordnet wurde, seht lieber ein bisschen lebendiger drein. Es ist nicht gut, einen Prinzen warten zu lassen.«
Hollis und Maarken trugen ihre schlafenden Kinder und sagten nichts. Morwenna kam mit verrutschtem Nachtgewand die Treppe herab und murmelte leise vor sich hin, dass auf einen Tag mit anständiger Arbeit auch eine Nacht mit anständigem Schlaf folgen sollte. Die Wachtposten waren höflich, aber entschieden, als sie die Schlossbewohner und Miyons Diener in den Hof hinaustrieben.
»Das ist eine Unverschämtheit!«, tobte Lord Barig. Seine Giladaner Rechtsgelehrten stimmten ihm zu. Rohans Lippen formten die nächsten, unvermeidlichen Worte zusammen mit seiner Lordschaft: »Ich verlange, den Grund hierfür zu wissen!«
Rohan nickte vor sich hin, als er sah, wie Barig Arlis in den Weg trat, der in der Halle stand und die Leute aufforderte, sich eilig im Hof zu versammeln. Der junge Mann lauschte mit ernster Höflichkeit, zuckte entschuldigend mit den Schultern und deutete auf die Türen.
Andry war schweigsam, aber Nialdan grollte: »Es ist mitten in der Nacht! Warum treibt man uns aus dem Bett?« Worauf Andry mild erwiderte: »Zweifellos, damit wir Zeugen von etwas werden, das gleichermaßen unterhaltsam wie lehrreich sein wird. Bist du nicht froh darüber, dass man uns bis zu unserer Abreise drei Tage Zeit gelassen hat?«
Dann kam Sionell die Treppe herab. Sie war in einen dicken Umhang gehüllt und hatte tropfnasses Haar. Rohan zog überrascht die Brauen hoch; es war ein wenig spät für ein Bad. Tallain erwartete seine Frau in der Eingangshalle. Rohan konnte die Worte nicht verstehen, die sie miteinander wechselten, aber als sie sich in seine Arme schmiegte, war seine beschützende Zärtlichkeit ausgesprochen vielsagend. Rohan grübelte noch darüber nach, als eine Gruppe lärmender Knappen und junger Diener vorbeitrabte. Irgendetwas hatte Sionell verletzt. Mehr noch, erkannte er, irgendetwas hatte ihr das Gefühl gegeben, unrein zu sein. Er hatte denselben Impuls auch hin und wieder verspürt, dieses Bedürfnis nach kühlem, reinigendem Wasser. Aber der Grund für ihren Kummer war ihm rätselhaft. Pols Flirt mit Meiglan vielleicht? Nein, dafür war Ell zu vernünftig. Überhaupt – wo war eigentlich Meiglan?
Chay kam mit Jahnavi vorüber. Er machte dem Jungen ein Kompliment, weil der instinktiv nach seinem Schwert gegriffen hatte. Die Reaktion eines echten Kriegers, wenn man ihn abrupt aufweckte. »Möge die Göttin dir gnädig sein, damit du das hoffentlich nie brauchen wirst«, fügte er hinzu.
Miyon war der Nächste. Rohan hätte wetten mögen, dass der Prinz aus Cunaxa Barigs Worte nachsprechen würde, vielleicht noch mit dem Zusatz: »Wie kann er es wagen?« Aber Miyon überraschte ihn. Er kam gelassen und sorglos die Treppe herab. Doch diese
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