Sternenlaeufer
und als sie seinen Namen aussprach, wusste sie, dass er sie wieder küssen würde.
Kapitel 27
Rivenrock Canyon: Frühjahr, 35. Tag
Ruval presste den Rücken an die zerklüftete Höhlenmauer. Er atmete schwer. Zum fünften Mal an einem einzigen Tag hatte er jetzt das verhasste Sonnenlicht benutzt, um Mireva zu finden. Doch von ihr war keine Antwort gekommen, nicht das leiseste Flüstern. Er war kurz davor gewesen, auf der Mittagssonne zu suchen, als Pols Erwiderung ihn erreichte. Seine Erklärung war so kräftig wie ein Sturmwind, der durch Pinien rauscht. Die Befriedigung darüber, dass seine Herausforderung endlich angenommen worden war, hatte nicht lange gedauert, denn seine Suche nach Mireva war erfolglos geblieben. Jetzt ging es auf den Abend zu. Bald würde der Himmel sich verdunkeln, und die Sterne würden die Nacht mit Lichtpunkten versehen. Er musste hinnehmen, dass er Pol allein gegenübertreten würde.
Allein!
Er unterdrückte die aufkommende Panik mit dem Stolz auf seine Abstammung, seine Kräfte und seine Ausbildung. Er würde siegen. Mireva hatte ihn als ihr Werkzeug der Rache gegen alle Lichtläufer auserwählt. Er würde Mirevas Wahl rechtfertigen, würde seine Mutter rächen und als Prinz der Felsenburg den Platz seines Großvaters einnehmen. Roelstra hatte versagt, und auch Ianthe hatte Rohans Macht nicht brechen können. Sie waren listig gewesen, er aber besaß Kenntnisse, wie er Pol auf eine Art töten konnte, an die nie jemand denken würde.
Auf diese Weise vertrieb er seine Ängste. Er setzte sich erneut auf ein kleines Steinsims am Eingang der Höhle und verzehrte den letzten Rest seiner mageren Vorräte, während die Schatten länger wurden. Er mochte den Canyon nicht besonders, obwohl der eine prachtvolle Arena für seinen Sieg abgab. Die Schatten, die tief in die Felswände einschnitten, waren schwarz und stumm wie Augen, die Geheimnisse verbergen. Der Boden der Höhle, in der er sich befand, war mit den Überresten zahlloser Drachengenerationen übersät: Schädel mit leeren Höhlen, wo Augen hätten sein sollen, und abgeworfene Schuppen, vom Feuer geschwärzt. Ein steifes, ledriges Stück Flügel hatte in der Nachmittagsbrise geflattert, die durch den Canyon zog und hatte ihn so erschreckt, dass sein Schrei als Echo von den Wänden zurückgeworfen worden war. Er schickte sich an, die Ausrottung eines jeden noch lebenden Drachen zu planen, denn er hatte festgestellt, dass das ein hübscher Sport war. Er fand, dass es eine gute Idee von dem alten Prinz Zehava gewesen war, dass man seine Tüchtigkeit beweisen musste, indem man die großen Tiere tötete. Aber mehr als alles andere missfiel ihm das Gefühl, das er in dieser Umgebung verspürte, wo einst Drachen gelebt hatten. Es war ihre Heimat, nicht die seine; er wollte dafür sorgen, dass jede Handbreit Erde dieses Kontinents ihm allein gehörte.
Kurz ehe die Sonne verschwand, stäubte er Dranath in seinen Weinschlauch und trank davon. Die Droge stärkte seinen Mut und verlieh ihm neue Kräfte. Ganz leise fing Ruval an zu lachen. Der sinnliche Dunst der Droge lief durch seinen Körper und dann das willkommene Gefühl von Macht. Er knetete Sand in seinen Fäusten, ließ ihn durch die Finger rinnen und bewunderte das goldene Funkeln des Staubs, das selbst in der Dämmerung noch zu sehen war. Auch das war Macht. Ruval beschloss, Rohan noch eine Weile leben zu lassen, damit er den Schmerz über Verlust und Versagen ebenso kennenlernte wie Ianthe. Dann würde er sterben. Und seine gesamte Familie mit ihm. Die Prinzenmark, die Wüste, das Gold, das alles würde ihm gehören. Und dazu der Titel des Hoheprinzen.
Mit den ersten Sternen kam der Ruf der Drachenhörner. Ruval stand auf, säuberte seine Hände und lächelte. Er brauchte niemanden. Er war allein, aber das war besser so. Jeder würde sehen, dass seine Kräfte stärker waren, und alle würden sich dann vor ihm, dem Zauberer und Prinzen, verneigen. Es war der Augenblick, den seine Mutter herbeigesehnt hatte und um den man sie betrogen hatte. Mit ihrem Namen auf den Lippen würde er Pol töten.
Die untergehende Sonne färbte die Wüste blutrot und verwandelte die Höhen und Tiefen des blumenübersäten Sandes in die Wellen einer dunkelroten See. Sioned ritt mit ihrem Gemahl hinter ihrem Sohn. Sie sah, wie das Licht Pols Haar rötlich färbte, bis es fast vom selben Feuergold war wie das ihre.
Sie konnte die Gegenwart der anderen hinter sich spüren. Sie ritten immer paarweise: Chay
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