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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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nächsten Tor jagen sollen. Aber ich war das idiotische Gefühl nicht losgeworden, wir sollten den Weg zurück nehmen, den ich gekommen war.
    Kelos drängelte Mascha beiseite und setzte sich neben Danilow. Der Oberst grummelte etwas, verstummte dann aber und starrte den Fremden an. Kelos tastete rasch sein Bein ab.
    »Das ist nicht schlimm. Du hast dir nichts gebrochen.«
    »Das weiß ich …« Danilow schob Kelos’ Hand weg. »Vielen Dank.«
    »Großpapa«, flüsterte ich, »bist du dir sicher gewesen, dass ich Saschka finden würde?«
    »Ja.«
    »Aber wieso?«
    »Du bist daran gewöhnt, eine Sache zu Ende zu bringen.«
    »Das ist keine Antwort.«
    »Na schön.« Mein Großvater seufzte. »Du kennst keine Niederlagen, weißt du. In deinem Leben hat es keine normalen, keine richtigen Niederlagen gegeben. Wenn du etwas wolltest, hast du es auch bekommen. Mit kindlicher Naivität und mit der Gewissheit, dass du die Welt vollständig durchschaut hast. Du kannst dich davon überzeugen, dass die Entscheidung, die du einmal getroffen hast, die einzig richtige ist und sich ohne Zweifel in die Tat umsetzen lässt. Das ist alles. Sicherlich wird sich das irgendwann auf sehr schmerzhafte Weise rächen, Pit. Aber noch reicht dein Selbstvertrauen, noch vertraust du stark genug auf deine Entscheidungen, dass du durch das Tor gehen kannst. Besser als wir alle und als die meisten Einheimischen hier.«
    Ich weiß nicht, ob er wirklich dieser Meinung war oder ob er nur versuchte, eine Erklärung für mein Glück zu finden. Auf alle Fälle klang es viel zu einfach, wie aus einem alten Film, wo die Helden durch Wände gehen konnten, sofern sie nur fest genug daran glaubten.
    »Es liegt nicht an mir, Großpapa. Nicht nur an mir. Wenn Danilow nicht gewollt hätte, dass ich ihn mitnehme … wenn ihr nicht auf uns gewartet hättet …«
    »Ja, das stimmt. Du hangelst dich an einem unsichtbaren Faden entlang, der zwischen uns gespannt ist. Vielleicht hat dein Freund recht … wir sind hier zu einsam, um einander wirklich verloren zu gehen. Wir haben Angst. Wir haben einfach Angst.«
    »Aber jetzt …«
    Mein Großvater zuckte mit den Schultern. Mascha verband Danilow das Bein. Dieser sagte kein Wort, sondern hörte Kelos zu, der stets mit allen eine gemeinsame Sprache fand.
    »Großvater …«, sagte ich, denn ich spürte, dass etwas nicht stimmte. »Was ist denn los?«
    »Wir sind jetzt alle zusammen«, antwortete mein Großvater.
    »Und?«
    »Das sage ich auch: Und! Wo bleiben nun Tore? Tu dich auf, Erde, erscheine, Tellerchen mit dem blauen Rändchen! Gebt uns die Tür in unsere Welt! Erbarmt euch der Waisen und Tumben!«
    Mein Großvater drehte sich mir zu und legte mir die Hände auf die Schultern. »Du bist ein guter Junge, Petja«, sagte er leise und nachdrücklich. »Ich bin stolz auf dich. Ich liebe dich. Du bist in der Lage, für einen Freund durch Feuer und Wasser zu gehen, oder Saschka, der dich doch verraten hat, hierher zu bringen. Wo hast du ihn eigentlich aufgetrieben? Lass mich raten. In einem Konzentrationslager? Ja, wir alle sind Helden vom Scheitel bis zur Sohle. Die Retter der Menschheit. Gebt uns, gebt uns diese Tore!«
    Alle schwiegen. Alle hörten meinem Großvater zu.
    »Nur, dass unser Problem ganz woanders liegt!« Er hatte seine Stimme erhoben. »Eigentlich wollen wir nämlich diese Tore überhaupt nicht! Krej hat die Wahrheit gesagt: Wir haben Angst davor, zu einem Teil des Schattens zu werden. Und das heißt, wir werden hier hocken, bis wir schwarz sind, bis wir endlich glauben … bis wir aus tiefstem Herzen davon überzeugt sind, dass es nichts Richtigeres und Natürlicheres auf der Welt gibt!«
    Kelos erhob sich schweigend und entfernte sich vom Lagerfeuer.
    »Darauf werden wir lange warten müssen, Petja … sehr lange, wie ich fürchte. Und nichts kann uns da helfen. Uns nicht – und auch der Erde nicht.«
    »Erklärt mir jetzt endlich, worum es eigentlich geht!«, blaffte Danilow.

Vier
     
    Mein Großvater und Kelos konnten über die Handelsliga sagen, was sie wollten.
    Aber in einer Sache hatte Krej recht. Ihre Tunnel konnten – mussten – einen Ausweg aufzeigen.
    Man darf einem Menschen nicht diese Freiheit anbieten, wie die Tore sie verstanden. Man darf die Entscheidungen nicht dem Unterbewusstsein überlassen, dieser Handvoll Müll am Schädelgrund. Wir haben gelernt, vor sehr langer Zeit schon gelernt, uns nicht so zu verhalten, wie wir es gern möchten, sondern so, wie es nötig ist, und genau

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