Sternenschatten
auch nicht!«
Ich erwiderte nichts. Mit den Augen verschlang ich den Samen. Er war meiner, man hatte ihn mir geschenkt, und ihn aus der Hand zu geben … Wie hieß es doch in dem alten Märchen von dem Zauberring? Mein Schatz …
»Warum hat der Schatten dir nachgegeben?«, fragte mein Großvater. »Warum hat er dir nachgegeben und dich gleichzeitig unterworfen? Warum rührt sich bei mir … und ich liebe die Erde nicht weniger als du, Pit … Warum rührt sich also bei mir nichts?«
»Ich weiß es nicht …«
Ich begann zu zittern. Wenn mein Großvater bloß nichts Falsches mit dem Samen anstellte! Nichts Undenkbares! Er könnte ihn zerquetschen, löschen, zerbrechen … selbst wenn er fester als Stahl und heißer als ein Stern war … aber mein Großvater verstand nicht, wie wichtig der Samen war!
Weit hinten, in einem Winkel meines Bewusstseins, wusste ich, dass etwas Seltsames mit mir geschah. Aber es fehlte mir die Kraft, weiter darüber nachzudenken.
»Nimm ihn, Pit. Ich will nicht, dass du mich so ansiehst.«
Das ungute Gefühl legte sich wieder, sobald der Sa men in meine Hände fiel. Ich atmete tief durch und spür te, wie Schamesröte mein Gesicht überzog.
»Also, was bedeutet das? Kannst du mir das nicht erklären, Pit?«
»Doch … ich glaube, ich kann es erklären«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung.
Die Worte bildeten sich nicht neu, sondern schwammen aus meinem Gedächtnis heraus, wo sie sehr gut begraben gewesen waren:
»Doch dein Schatten
an der Wand
belauert jeden Augenblick
jeden Moment meiner Tage
und mein Schatten
macht das Gleiche
und bespitzelt deine Freiheit.«
Mein Großvater nickte. Er verzog das Gesicht, als sei er geschlagen worden. »Was für ein Regressor er doch gewesen ist, Petja«, flüsterte er. »Der beste Regressor der Geometer. Was für Idioten … dass sie ihn nicht zu schätzen wussten …«
In seinen Augen spielte der Schmerz sein Spiel. Und dieser Schmerz traf mich mit voller Wucht … denn es gibt keinen größeren Schmerz als den des Ausbilders … Dabei wollte ich doch um jeden Preis, dass er mich verstand. Dass er mich verstand und lobte und sich nicht länger grämte. Deshalb sagte ich:
»Doch so wie die Stunden einander nachschleichen
ohne je gemeinsam zu schlagen
verfolgen sich unsere Schatten
wie zwei Hunde aus demselben Wurf
losgelassen von derselben Kette
eingeschworene Feinde der Liebe beide
einzig und allein treu ihrem Herrn
ihrer Herrin
zwei Hunde
die geduldig
wenn auch zitternd in ihrer Qual
auf die Trennung der Liebenden warten.«
»So bist du also durch die Tore gekommen, Pit.« Das Gesicht meines Großvaters zitterte in Qual. »Aber natürlich … mit dieser Pflicht … mit dieser Kraft … was hast du denn?«
Cualcua!
Abermals zerriss mir eine Drahtbürste die Haut, bearbeitete Schmirgelpapier sie, glättete eine Feile sie unbarmherzig von der Innenseite.
Du hast doch den Befehl erteilt!, erwiderte mein Symbiont gekränkt. Du wolltest das Äußere von Nik Rimer.
Wirklich? Wollte ich das? Aber warum eigentlich nicht?
»Schließlich kehren wir in dem Schiff der Geometer zurück«, erklärte ich. »Warum soll ich da nicht schon vorher in die Haut von Nik schlüpfen?«
»Ja … natürlich.« Mein Großvater schloss kurz die Augen. »Du hast recht … Pjotr.«
»Und jetzt sollten wir besser schnell ins Schiff!«, bat ich. Warum machten sie bloß so traurige Gesichter? Warum wirkten meine sehr-guten-Freunde Mascha und Danilow, die so treue Freunde waren, dass sie einen Fehler mit Gewalt korrigieren würden, denn nur so gekränkt? »Wir müssen so schnell wie möglich zum Schiff!«
Ich döste die ganze Strecke über. Mit halbem Auge beobachtete ich meine vor mir sitzenden sehr-guten-Freunde. Das Innere des Schiffs der Liga ließ mich völlig kalt, sowohl die Steuerungssysteme, die für Mascha eingestellt waren, wie auch die Fortbewegungsprinzipien. Alles in dieser Welt ist zu verstehen. Alles wiederholt sich. Die äußere Form hat keine Bedeutung. Ein Schiff muss fliegen – wie es das bewerkstelligt, ist absolut zweitrangig. Der Mensch muss für das allgemeine Glück kämpfen – was auch immer mit ihm passiert.
Das Schiff verstand sein Handwerk.
Und ich das meine.
Meine sehr-guten-Freunde unterhielten sich mit gedämpfter Stimme. Glaubten sie wirklich, ich würde sie nicht hören?
»Es ist ein Fehler, den Menschen nur als Körper wahrzunehmen«, sagte mein Großvater. Er war weise. Er
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