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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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um einen kastrierten Verstand wie bei den Schiffen der Geometer, eine vollständige Persönlichkeit oder nur um ein primitives Navigationssystem?
    Wir sind eins.
    Ja, bestätigte ich.
    Es war, als stürze ich ab, als rolle eine Lawine von Tönen, Bildern und Eindrücken über mich hinweg. Nein, die Delta war nicht intelligent. Sie war nur ein Appendix des eigenen Körpers – aber was für einer!
    Ich sah durch die Mauern des Hangars hindurch. Ich nahm die Bewegungen der Maschinen in den Straßen der Stadt wahr. Ich hörte Galis’ Atem und das Rascheln der Zweige an den Bäumen. Die Welt wurde riesig, doch sie stand mir offen, hatte sich mir unterworfen. Selbst im Schiff der Geometer hatte ich nicht ein solches Gefühl von Macht verspürt … Und gleichzeitig gab es etwas, das von mir abgeschnitten war, mir verschlossen blieb. Zum Beispiel die Sterne. Als ob die Delta nur mit halber Kraft lebte.
    »Ich kann die Maschine nicht vollständig kontrollieren«, teilte ich mit. Die Worte kamen mir nicht über die Lippen, sondern aus dem Metallkörper des Schiffs. Sie dröhnten als erzürntes Gebrüll durch den Hangar. Galis machte ein schmerzverzerrtes Gesicht.
    »Du sollst dir nur über ihre Kraft klar werden, Pjotr. Ja, ein Teil der Funktionen ist blockiert. Ich vertraue dir nicht vorbehaltlos. Aber für einen militärischen Patrouilleflug reicht es.«
    Ich achtete nicht auf seine Worte. Ich wollte die mir zur Verfügung stehende Kraft ausprobieren. Mich bewegen … fliegen … den Himmel mit einem harten Schlag durchbohren, Berge einreißen, Wasser verbrennen …
    »Das ist genug. Fürs Erste ist es genug. Steig aus.«
    Ich wollte widersprechen. Nicht mit Worten, sondern mit Taten. Ich wollte durch die dünne Decke schießen, mich an den unterworfenen Naturgewalten ergötzen …
    In letzter Sekunde kam ich wieder zu mir. Anscheinend hatte Galis damit gerechnet, dass ich einfach losfliegen würde. Mit Bedauern, fast mit körperlichem Schmerz kappte ich das Band zu der für mich allzu starken Delta. Die Welt schrumpfte mit einem lautlosen Schrei auf den winzigen Punkt des Cockpits zusammen. Ein Krampf schüttelte mich, der Sitz, der mich in einem festen Kokon umspannt hielt, gab mich langsam wieder frei.
    »Steig aus!«, wiederholte Galis.
    Die Kabine öffnete sich widerwillig. Ich erhob mich und fing voller Genugtuung Galis’ Blick auf, den ich so in seinen Erwartungen enttäuscht hatte. Über die elastische Zunge der Gangway kletterte ich nach unten.
    »Eine gute Maschine, Hauptmann. Danke.«
    Galis hüllte sich in Schweigen.
    »Stimmt etwas nicht?«
    »Ich war mir sicher, dass du dich nicht würdest beherrschen können«, erwiderte der Hauptmann mit größter Ruhe.
    »Warum das?«
    »Sie steht schon zu lange. Ein halbes Jahr im Hangar, ohne Flüge, ohne Piloten. Die Delta ist für den Kampf gemacht und übt entsprechenden Druck auf ihren Piloten aus.«
    »Aber warum musste ich dann da rein?«, fragte ich leise.
    »Wenn du losgeflogen wärst, dann … hätte ich sie aufgehalten.« Galis blickte mir in die Augen. »Wir brauchen keine Piloten, die nicht in der Lage sind, die ihnen anvertraute Waffe unter Kontrolle zu halten.«
    »Wie hochanständig von dir.«
    Ich bemerkte nicht einmal, dass ich anfing, mit dem Hauptmann im gleichen Ton zu reden wie Schnee.
    »Einer muss ja anständig sein«, parierte Galis. »In Ordnung. Ich freue mich, dass du mit der Maschine zurechtgekommen bist. Jetzt schreib dir Folgendes hinter die Ohren: Das ist deine Maschine. Du bist mein Pilot. Ich bin dein König und dein Gott. Bei einem Alarm nimmst du innerhalb von zwei Minuten deinen Platz ein. Du sitzt im Cockpit und wartest. Du erhältst einen Auftrag und führst ihn aus. Ich würde dir nicht empfehlen, über den Befehl hinaus auf eigene Faust zu handeln, noch weniger, ihn nicht zu erfüllen. Einen Verstoß gegen meinen Befehl kann ich verzeihen. Ich kann es aber auch sein lassen. Du kannst nie wissen, was für Konsequenzen eine Verfehlung nach sich zieht.«
    Er drehte sich um und ging weg.
    Was für eine exquisite Einweisung!
    Was für eine wunderbare Welt!
    Doch was am schrecklichsten war – dass ich, als ich seine Worte hörte, vor Freude fast gezittert hätte!
    Was hatten sie in dem Film über den Schatten gesagt? Uneingeschränkte Freiheit und Glück? Unbegrenzte Möglichkeiten der Entwicklung und Selbstvervollkommnung?
    Großpapa, wie sehr ich dich jetzt brauchte!
    Und zwar nicht denjenigen, zu dem du geworden bist, zu diesem

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