Sternenschimmer
die Wahrheit, die Realität, in der du lebst!, schleuderte mir der Koffer hinterher.
Verdammt! Ich musste hier raus! ICH MUSSTE HIER RAUS! Und dann lief ich, stürmte aus dem Haus, rannte die Einfahrt hinab … und floh.
Es war eine Flucht vor Lena, eine Flucht vor Iason, eine Flucht vor all dem, was ich nicht wahrhaben wollte.
Reißend erwiderten die Steine auf der Einfahrt meine Schritte. Nichts Heimeliges hatte ihr Klang mehr an sich. Ich lief weiter … immer weiter die Straße hinab. »Mia!«, hörte ich Iasons Stimme in der Ferne. Ich rannte schneller … »Mia!« … und noch schneller … Die Rufe kamen näher … ich hatte keine Chance … seine Schritte wurden lauter … doch dann sah ich die Haltestelle … und dort stand auch schon das Schiff … »Mia!« … noch ein paar Meter … Er war nicht mehr weit entfernt … das Schiff schloss die Türen … und ich sprang im letzten Moment hinein. … Mein Gott, was tat ich da? … Ich drehte mich um und blickte aus dem Fenster, während sich das Schiff in die Luft erhob.
Iason blieb stehen und sah zu mir auf.
Bitte!, formten seine Lippen. Tu das nicht!
Dann wurde seine Gestalt kleiner, noch kleiner, und immer kleiner, bis sie sich in der Dunkelheit verlor …
Ich musste mich beeilen. Iason würde gleich hier sein. Ich war sicher, er würde mir folgen. Und es wäre nur allzu erklärbar, wenn er bei mir zu Hause als Erstes suchte. Verdammt, wo war nur der Schlüssel! Hastig wühlte ich in meiner Jeans, kramte ihn zwischen Taschentüchern und aufgeweichten Schokobonbons hervor. Meine Hand zitterte so sehr, ich konnte ihn kaum ins Schloss stecken. Nach mehreren Anläufen gelang es mir. Ich stürmte in mein Zimmer, riss den Rucksack aus dem Schrank und packte eiligst ein paar Klamotten ein. Dann lief ich zum Kühlschrank. Käse. Brot. Samt einer Flasche Wasser riss ich sie heraus und stopfte alles zu meinen Kleidern.
»Mia?«
Verdammt! Meine Mutter war aufgewacht.
Ich wollte in den Flur, als sie blinzelnd wie eine Eule in der Zwischentür stand.
Mein Anblick ließ sie schlagartig erwachen. »Schatz! Was ist …?«
»Ich kann nicht«, war alles, was ich herausbrachte. Ich griff nach meiner Ersatzjacke und stürmte an ihr vorbei.
Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Die Bilder von Lena, Tom und Iason, von ihm am meisten, waren mir auf den Fersen.
Im Eilschritt erreichte ich das nächste Schiff. Ich war der einzige Fahrgast. Kein Wunder, es musste mindestens ein Uhr in der Nacht sein. Das Schiff glitt durch die Dunkelheit. Mein iCommplete klingelte. Es war Iason. Ich ging nicht dran. Dann klingelte es wieder. Surrend riss es an meinen Nerven. Meine Mutter.
» Mia, was um alles in der Welt ist los?«
» Nichts, ich muss nur ein paar Tage allein sein, okay? Ich liebe dich, Mum. Mach dir bitte keine Sorgen.« Ich drückte das Gespräch weg.
An der Stadtgrenze stieg ich aus.
Im Pförtnerhäuschen der Kuppelgrenze brannte Licht. Vorbeistehlen war also nicht. Oder doch? Ich schlich mich an und spähte durch das Fenster. Ein Mann saß zusammengesackt auf seinem Stuhl. Das Kinn auf die Brust gesunken, verdeckte der Schirm seiner Mütze sein Gesicht. Ein Schnarchen sagte mir, dass ich mich ohne Genehmigung und somit unbemerkt über die Grenze schleichen konnte.
Es gelang mir.
Noch ein paar Stunden Fußmarsch, dann hätte ich es geschafft. Frei. Um mich herum nichts als Gipfel und Berge.
Ich holte meine Taschenlampe aus dem Rucksack. Mein iCommplete klingelte erneut. Es war Iason. Ich ging nicht dran. Dann wieder meine Mutter … Ich setzte meinen Weg fort. Iason … meine Mutter und noch einmal meine Mutter … Iason. Dann meldete sich das Empfangssignal … und wieder Iason. Ich wog das iCommplete in der Hand. Ob ich drangehen sollte? Aber weshalb? Wozu? Kurz dachte ich darüber nach, blickte noch einmal auf das Display und merkte, dass mein Empfang schlechter wurde. Ich warf das Gerät in die Büsche. Es gab kein Zurück. Was war, würde nie wieder sein.
Der schmale Pfad verlor sich mehr und mehr im Schatten des Waldes. Kein Rauschen der Blätter, kein Knacken der Äste. Totenstille herrschte.
Die Ruhe ließ mich langsamer werden, den Atem leiser, bis meine Schritte nur noch ein mattes Schlurfen waren.
Irgendwann hielt ich an und lehnte mich mit dem Rücken gegen eine Tanne. Erschöpft rutschte ich in die Hocke.
In meinem Kopf war alles dumpf. Ich wusste, dass ich vor mir selbst geflohen war, doch meine Erinnerungen weshalb
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