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Sternenschimmer

Sternenschimmer

Titel: Sternenschimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Winter
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ankamen.
    »Pete sollst du heißen«, sagte ich und legte den Kleinen vorsichtig auf den vom Staub befreiten Küchentisch. Da der Regen die Luft abgekühlt hatte und ich meine Jacke gern wiederhaben wollte, machte ich mich auf die Suche nach einem anderen Stoff, durchwühlte eine alte Kommode und anschließend die angeschimmelte Küchenvitrine, in der ich eine von Motten zerfressene Tischdecke fand. Ich schüttelte sie aus, was mir erneut Staub in die Lungen trieb. Hustend formte ich das Tuch zu einem Nest, rupfte etwas Gras aus dem Garten und legte es zum Trocknen auf die Fensterbank. Pete piepste erbärmlich zwischen den Falten meiner Jacke hervor, und auch als ich ihn in seine neue Unterkunft setzte, wollte er sich einfach nicht beruhigen. Vielleicht hatte er Hunger?
    Ich versuchte mein Glück und begab mich auf die Jagd nach Fliegen und anderem Ungeziefer, das hier so herumkrabbelte. Den Beutezug schloss ich mit zwei Kellerasseln, einem Hundertfüßler und vier extrem ekligen Spinnen ab. Ich zerstampfte meinen Erfolg zu Brei, was mich unglaublich anwiderte. Pete öffnete brav den Schnabel und schlang sein Essen in einem Tempo hinunter, dass ich mit dem Füttern kaum nachkam. Als er allesverputzt hatte, schrie er immer noch, also machte ich mich erneut auf Jagd. So ging es den ganzen Tag. Pete piepste und ich sprang. Der kleine Vogel kam mehr und mehr zu Kräften, was mich über die Maßen freute. Nur konnte er deshalb auch immer lauter piepsen. Aber gegen Nachmittag ging es ihm wieder schlechter. Am Abend jammerte er nicht mal mehr. Er lag einfach nur da und blickte mich an. Ich nahm Pete aus seinem Nest und bettete ihn in meine Hand. Sein kleiner nackter Körper war eiskalt. Ein paar Stunden lang kämpften wir gemeinsam um sein Leben.
    Aber Pete schaffte es nicht.
    Ich brachte ihn hinaus und beerdigte ihn unter einem Sommerflieder.
    Die Sonne hing tief zwischen den Berggipfeln, als ich von seinem Grab aufstand und ins Haus zurückging.
    Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und blickte aus dem Fenster. Der glühende Feuerball tauchte das Dorf in flammendes Rot. Bald schon wich auch dieser Schein der Dunkelheit. Ich hatte es also nicht geschafft, dachte ich. Wie so vieles nicht.
    Ich knipste die Taschenlampe an und machte mich auf die Suche nach einer Schlafgelegenheit. Die Betten hatten meine Vorbesitzer mitgenommen und die vergammelte Matratze, die ich in einem der oberen Räume fand, stank nach Schimmel und Feuchtigkeit.
    Im Erdgeschoss kauerte ich mich in eine Ecke, zog die Jacke über meine Schultern und dachte an meine Mutter. Erst mein Vater und jetzt ich. Das hatte sie nicht verdient. Erst kürzlich hatte ich ihr versichert, anders zu sein als er.
    Ich spürte den verknickten Brief in meiner Hosentasche und holte ihn hervor. Meine Hände zitterten, als ich ihn glatt zog. Was ich dann tat, war nicht geplant, es überkam mich einfach. »Du verdammter, beschissener Zettel!«, rief ich und zerriss ihn in tausend Stücke. »Wegen dir bin ich hier«, schimpfte ich undzerfetzte ihn immer mehr. Oje! Was hatte ich denn jetzt gemacht!? Mit zitternden Händen las ich die Schnipsel auf und stopfte die schlimme, aber einzige Erinnerung an Iason in meine Hosentasche zurück.
    Was er wohl gerade machte? Schnell zwang ich diesen Gedanken aus meinem Kopf. Er und ich, diese Vorstellung war nichts als blinde Hoffnung, ein zerbrochener Traum.
    Fröstelnd kreuzte ich die Arme vor der Brust und versuchte, mich selbst zu wärmen. Ein einsames Leben machte kalt.

    In dieser Nacht fand ich noch weniger Schlaf als in der letzten.

    Ein weiterer Tag – eine weitere Nacht.

    Den vierten Tag vertrieb ich mir damit, Beeren zu sammeln, um etwas den Hunger zu stillen. Anschließend durchsuchte ich stundenlang die anderen Häuser. Mit einem angeschlagenen Wasserkrug, einer mottenzerfressenen Tischdecke und zwei morschen Holzkisten bestückt, wollte ich mich gerade in mein Haus zurückbegeben, als ich im Garten des letzten Hauses auf einen Tomatenstrauch und eine ganze Karottenkolonie stieß. Nie hätte ich gedacht, dass sich diese Pflanzen selbst aussähen, aber ich war ja schließlich kein Gärtner, und empfand so etwas wie Erleichterung.
    In dieser Nacht döste ich nur noch vor mich hin. Ich lag auf dem Küchenfußboden, zwar mit vollgestopftem Bauch, aber auch mit einer starken inneren Kälte, die sich immer weiter ausbreitete.
    Als sich der Morgen mit ersten grauen Schlieren am Himmel ankündigte, stand ich auf. Meine Glieder

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