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Sternenschimmer

Sternenschimmer

Titel: Sternenschimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Winter
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schmerzten. Ich hoffte, sie durch einen Spaziergang wärmen zu können.
    Jeder Schritt vertrieb ein wenig mehr die Taubheit in meinen Beinen. Und so ging ich immer weiter, bis ich das Ende des Dorfes erreicht hatte und dem Weg in die Berge folgte. Es war einlanger Marsch, aber so hatte ich wenigstens etwas zu tun. Auf einer Anhöhe blieb ich stehen. Wie einfach und schön die Welt von hier oben aussah. Ich ging weiter, immer tiefer in den Wald hinein, bis ich irgendwann nicht mehr wusste, wo ich war. Egal, ob hier oder an einem anderen Ort, was spielte das für eine Rolle. Als sich der Tag aber dem Ende zuneigte, wurde ich müde und wollte doch in mein Haus zurück.
    Die Dämmerung brach herein und ich sah über das weite Land. Nun konnte ich mich an der Sonne orientieren. Wenn ich immer in Richtung Osten gehen würde, müsste ich zumindest irgendwann die Windkraftanlage erreichen. Von da aus waren es nur ein paar Stunden bis zum Dorf. Ich versuchte mir die Richtung einzuprägen, wenn ich wieder in den Wald eintauchte, würde ich die Sonne nicht sehen.
    Plötzlich machte ich ein Geräusch hinter mir aus.
    Ich drehte mich um und wurde von eisgrünen Strahlen geblendet, die aus zwei stahlharten Augen kamen. Noch bevor ich schützend den Arm vor mein Gesicht legen konnte, bohrte sich ein heißer Schmerz in meinen Kopf und um mich herum versank die Welt in Dunkelheit …

31

    I ch hatte mir nie viele Gedanken darüber gemacht, wie man das Chaos beschreiben könnte. Und jetzt, da es über mich hereinbrach, wurde mir bewusst, dass alles, was ich mir bisher darunter vorgestellt hatte, nichts als eine leicht verrückte Ordnung war.
    Um mich herum wirbelten diffuse Figuren. Durcheinander? Ineinander? Ich kannte sie und gleichzeitig kamen sie mir völlig fremd vor, in sich verzerrt. War da Gretas Gesicht auf dem Torso von Bert? Hope, gefangen im transparenten Körper meiner Mutter. Auch Frank, Lena und Finn schienen als eine Person ineinander verwoben zu sein.
    Die Figuren vermischten sich, wechselten Körperteile, Augen und Münder wie Kleidungsstücke, um sich schließlich wieder neu zusammenzufinden.
    Fremde Gestalten, namenlose Gesichter.
    Ich selbst war hüllenlos, ein bloßer Geist, um den die anderen herumwirbelten, den sie durchdrangen wie Luft.
    Ihre seltsame Existenz schien mehr Substanz zu haben als meine eigene, so glaubte ich.
    Was geschah mit mir? War ich tot? Lebte ich noch? Was war das für eine empfindliche, klirrende Kälte, die unaufhaltsam in mich hineinkroch? Mein Körper! Gab es ihn vielleicht doch noch? Ich spürte nichts als Furcht, eine tief sitzende, grauenhafte Furcht, die aus irgendwelchen verborgenen Winkeln in mir aufstieg, sich ausbreitete und meine Seele zu Eis gefror. Ich bekam Panik, wollte nur noch raus, raus aus meiner Seele. Ichversuchte zu schreien, mich zu befreien, aber es ging nicht. Also zwang ich mich, auf die Figuren zu achten, die Einzelteile jener, die ich so sehr vermisste, nach deren Wärme ich mich sehnte … Ich wollte mich auf ihre Verwandlungen konzentrieren, um der Kälte keinen Platz mehr zu lassen, mich zu ängstigen … Dann sah ich Iason. Vollständig. Vollständig! Sein Erscheinen ließ die verworrenen Figuren auseinanderstieben. Sie verpufften wie Feuerwerkskörper in der Dunkelheit.
    Hilf mir!, schrie ich verzweifelt … aber ich besaß keine Stimme.
    Er kam auf mich zu, durchdrang mich und ging weiter. Ich wollte ihn festhalten, aber mir fehlten die Hände zum Greifen. Er ging weiter, immer weiter fort von mir und ließ mich zurück, als gäbe es mich nicht. Ich wollte meinen Körper finden, aber er war nicht da. » Iason!«, schrie etwas in mir.
    Er ging weiter. Hüllenlos versuchte ich, ihn einzuholen. Aber ich kam nicht von der Stelle.
    »Iason!«
    Wie eine Irre suchte ich nach meinen Körperteilen, um ihn aufzuhalten. Wollte meine Arme nach ihm ausstrecken, die ich aber nicht fand. Ich hatte keine Arme, keine Beine, nichts war mir geblieben, nur ein stummer Schrei.
    Er blickte zu mir hin – mit den Augen meines Vaters. Entsetzt musste ich mit ansehen, wie Iason sich Gesichtszug um Gesichtszug immer mehr verwandelte … Mit unfassbarer Gleichgültigkeit drehte er sich schließlich um und ging fort …
    Alles an mir war ein einziger Schmerz. Ich wusste, dass ich noch immer schrie, konnte mich aber nicht hören. Keiner konnte mich hören – nur einer. Er hörte meine Qualen, denn als ich an dem Punkt war, nur noch sterben zu wollen, flimmerte sein

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