Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
dem über ein Dutzend Schlüssel baumelten, sperrte das Tor auf und verbeugte sich theatralisch. »Hereinspaziert.«
Hand in Hand gingen sie den schmalen Pfad entlang, den er kurz nach Sonnenuntergang freigeschaufelt hatte. Zu ihrer Linken wuchs eine riesige Weide, deren peitschenähnliche Äste langsam im Wind wiegten und liebkosend über ihre Köpfe strichen. Aus dem Schornstein stieg eine Rauchsäule empor und trug den Geruch eines Holzfeuers zu ihnen.
»Das sieht wie ein Hexenhäuschen aus«, murmelte Lilly und packte seine Hand etwas fester.
Durch ein Loch im Vordach rieselten bei jedem Windstoß einige Schneeflocken auf die Fußmatte, die vor der dunklen Haustür lag. Sie wirkte morsch, und dunkelgrünes Moos wucherte auf ihrer Oberfläche. Mit einem weiteren Schlüssel öffnete er sie und führte Lilly in das warme Innere, das von unzähligen Teelichtern erhellt wurde. Er hauchte ihr einen Kuss in den Nacken, nachdem sie sich von Schal und Mütze befreit hatte und er ihr den Mantel abnahm.
»Das ist wunderschön.« Ihre Finger fuhren über ein zierliches Schuhregal aus schwarzem Eisen, das auf der Rückseite zu einem Blumengeflecht auslief.
»Folge mir.« Er führte sie den schmalen Flur entlang, von dem Küche, Wohnzimmer und Toilette abzweigten, zu einer Holztreppe, die unter ihren Schritten laut knarrte. Auch hier hatte er Kerzen aufgestellt, und die Freude in ihren Augen war ihm Lohn genug für seine Mühen. Wenn sie nur immer so fröhlich wie in diesem Augenblick sein könnte. Nichts wünschte er sich mehr, als sie vor allem Leid zu bewahren. Im oberen Stockwerk gab es nur ein Bad mit braunen Kacheln, die an manchen Stellen zersplittert waren, und zwei Räume. Das Schlafzimmer hatte er neu eingerichtet mit einem schlichten Tisch, der unter dem einzigen Fenster stand, einem alten Eichenschrank, den er im Internet ersteigert hatte, und einem großen Bett, auf dem er Rosenblätter verstreut hatte. »Ich dachte, es wäre schön, wenn wir einen Ort hätten, an den wir uns zurückziehen könnten«, versuchte er eine Erklärung und spürte zu seiner eigenen Verwunderung, wie seine Wangen sich rot färbten.
Statt einer Antwort drehte sie sich zu ihm um, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn heiß und innig. Ganz in der Gegenwart des anderen versunken stolperten sie zum Bett, fielen auf die weiche Matratze. Er rollte sie unter sich, umfasste ihr Gesicht und bedeckte es mit unzähligen Küssen. »Ich liebe dich so sehr«, wisperte er.
Ihre eiskalten Finger fuhren unter seinen Pullover, sandten Schauer der Lust durch seinen Körper, als sie über seine nackte Haut strichen. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich du mich machst.«
Bei ihren Worten durchfluteten ihn erneut seine wirren Gefühle: bedingungslose Liebe gemischt mit Angst und Zorn auf sich selbst. Sie bemerkte, wie er sich für einen kurzen Moment versteifte. »Was ist los? Du wirkst heute so düster.«
Raphael setzte sich auf und umfasste mit einer Bewegung den Raum. »Ich wollte dir eine Freude machen. Ist mir das nicht gelungen?«
»Natürlich.« Sie legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. »Es ist wunderschön, aber etwas beschäftigt dich doch.«
»Du kennst mich zu gut«, seufzte er. »Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Wegen dieser Sternenbestie, die eventuell hier ist? Wir haben die letzten beiden besiegt, da werden wir auch mit dieser fertig.«
»Die Jäger wären nicht hier, wenn die Lage nicht ernst wäre.«
»Was soll sie uns schon anhaben können? Ihr seid so viele, und sie ist allein.«
»Du weißt nicht, zu was sie alles fähig ist und ob sie wirklich allein ist. Und wie ist es? Wirst du dieses Mal damit klarkommen, dass wir einen unschuldigen Wirt töten müssen?«
Lilly zuckte zusammen.
Das hatte er geahnt. Ihre Schwäche. Es war ihr gelungen, ihren Stiefbruder zu retten, als er von einer Sternenbestie in Besitz genommen wurde, und sie hatte eine andere erlöst, auch wenn der Körper dabei den Tod fand. Sie war nicht bereit für die Härten des Krieges, den die Sternenseelen seit Jahrtausenden führten.
»Ich glaube nicht, dass ich mich jemals mit dem Töten abfinden kann, und werde immer nach einem anderen Weg suchen, aber Ansgar hat mir gezeigt, wie schrecklich sie sein können.«
Er hätte sie damals beschützen müssen und hatte kläglich versagt. »Ich bin zu schwach«, flüsterte er.
Sie sah ihn ungläubig an. Eigentlich sollte ihn das blinde Vertrauen, das sie ihm schenkte, schmeicheln,
Weitere Kostenlose Bücher