Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
fertig waren, duschte sie heiß und rieb sich die schmerzenden Muskeln mit einer Kräuterlotion ein. Sie freute sich auf ihr Bett, in das sie für zumindest zwei Stunden fallen würde, um sich ein wenig zu erholen, bevor Raphael vorbeikommen würde. Am folgenden Abend würden sie sich nicht sehen. Er hatte darauf bestanden, dass sie zwei Nächte die Woche zu Hause blieb und schlief, damit ihre Mutter nicht vollkommen ausrastete.
Beim Verlassen des Umkleideraums stieß sie beinahe mit Frau Magret zusammen und ging gemeinsam mit ihr die Treppe hinunter. In diesem Teil des Internats herrschte um die Uhrzeit eine gespenstische Stille. Die Schüler befanden sich in den Gemeinschaftsräumen oder trieben Sport, die meisten Lehrer hatten sich bereits in ihren Wohntrakt zurückgezogen.
»Deine Vorschläge für die Choreografie waren sehr hilfreich. Vor allem, da du die Fähigkeiten deiner Gruppe berücksichtigt hast. Du hast Talent. Kennst du den Jeanne-d’Arc-Preis für junge Künstlerinnen?«
Lilly schüttelte den Kopf. Tanzen war für sie immer nur ein Hobby gewesen, seit sie feststellen musste, dass sie zu groß für eine Profikarriere war, und daran, als Choreografin zu arbeiten, hatte sie nie gedacht.
»Er wird alle drei Jahre in Straßburg an deutsche und französische Nachwuchstalente verliehen. Die Gewinner erhalten Stipendien, die es ihnen ermöglichen, sich ein Jahr ganz der Kunst zu widmen. Du und Calista, ihr solltet euch bewerben.«
»Wirklich?« Die Idee gefiel ihr gar nicht schlecht. Sie war zwar gut in Physik und Mathematik, aber es war nur etwas, für das sie zufällig Talent hatte. Echte Begeisterung empfand sie keine. Die letzten Wochen hatte sie kaum mehr einen Gedanken an ihre berufliche Zukunft verschwendet. Wäre ein Leben als Choreografin vielleicht etwas für sie? Immerhin hatte sie viel Erfahrung, und die Arbeitszeiten wären wohl auch recht flexibel, was ihrer Beziehung mit Raphael zugutekam. Moni wäre davon allerdings alles andere als begeistert. Sie wollte sich die endlosen Diskussionen nicht ausmalen, die auf sie zukommen würden. Zumindest hätten sie so ein neues Thema, um zu streiten, und es ginge nicht nur um Raphael und ihre Beziehung zu ihm. Sie lächelte Frau Magret an. »Das klingt sehr interessant. Vielen Dank für den Hinweis. Ich werde heute Abend darüber im Netz recherchieren.«
Sie erreichten die Tür zum Hof, die um diese Zeit nur noch von innen oder mit einem Schlüssel zu öffnen war. »Sehr schön. Wie wäre es, wenn du dir ein paar Gedanken machst und wir in einer Woche noch einmal reden? Vielleicht möchtest du auch mit Calista zusammenarbeiten? Ihr habt beide großes Talent.«
Lilly verzog das Gesicht. »Eher nicht. Ich arbeite lieber allein.«
Die Lehrerin lächelte mild. »Sei nicht so hart zu ihr. Ich weiß, dass sie schwierig ist, aber sie hat es nicht einfach. Ich war früher ganz ähnlich.«
»Sie?« Lillys Augen weiteten sich. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Das ist zwar lieb von dir, doch ich war früher ein totales Miststück und hielt mich für etwas Besseres, nur weil ich ein Talent und den passenden Körper hatte. Aber es gab in meinem Leben Menschen, die an mich geglaubt haben und mir den richtigen Weg zeigten. Um Calista kümmert sich niemand.«
»Ich werde darüber nachdenken.« Mehr wollte sie der Tanzlehrerin nicht versprechen. Die Vorstellung, mehr Zeit mit dieser Zicke zu verbringen, als unbedingt notwendig war, empfand sie nicht gerade als Verlockung. Bevor die Lehrerin weiter auf sie einreden konnte, verabschiedete sie sich und schlüpfte durch die Tür nach draußen.
Auf dem Weg nach Hause dachte sie jedoch über mögliche Schrittkombinationen und Figuren nach. Sie wusste zwar nicht, wie sie das auch noch in ihren Zeitplan quetschen sollte, aber die Idee, eine eigene Choreografie zu entwerfen, ließ sie nicht mehr los.
9
† E r sah sie an und fühlte sich wie ein Versager oder schlimmer noch – wie ein Verräter. Er blickte auf sie hinab, sah ihre leicht geöffneten, bebenden Lippen, atmete ihren zarten Duft ein und strich durch ihr wunderbar weiches Haar. Seine widerstreitenden Gefühle zerrissen ihn innerlich. Er wünschte sie fort von hier, wohlbehalten an einem sicheren Ort, während ihn der Gedanke, sie nicht jeden Tag sehen zu können, am Sinn seines Lebens zweifeln ließ. Das Glück, das er verspürte, wenn er sie in seinen Armen hielt, füllte ihn ganz und gar aus. In all den Jahrhunderten, die geprägt von Tod und
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