Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
Lippen.
»Sag Raphael, dass ich ihn liebe, aber sag es ihm, wenn es Nacht ist.«
»Du wirst es ihm selbst sagen.«
»Versprich es. Nicht tagsüber.«
Calista nickte. Der Sturz musste sie verwirrt haben.
»Und meiner Mutter …« Ihre Stimme wurde schwächer, versiegte wie ein Rinnsal in der Wüste. Sie schloss die Augen.
Tränen rannen über Calistas Wangen, tropften in das blutverschmierte Haar des Mädchens.
Noch einmal öffnete Lilly die Augen. »Mutter …«, wisperte sie, dann wurde ihr Blick starr, die Augen brachen.
»Nein!«, rief Calista, rüttelte an ihrer Schulter. Dann sank sie schluchzend über ihr zusammen.
25
† S ie wird zur Gefahr für uns«, stellte Ras fest. »Deshalb habe ich dich um dieses Gespräch gebeten.«
Sie saßen in der Krone der Tanne, die die Ruine überschattete, derweil die anderen auf der Wiese vor der Hütte ihre Kampfübungen exerzierten. Tsih oder Shiori, wie sie sich den Menschen gegenüber vorstellte, wirbelte ihr Manriki Gusari – eine lange Kette, die auf beiden Seiten in massiven Drachenschädeln mündete – um sich herum. Während der Schule trug sie ihre Waffe als Gürtel getarnt um die Hüfte geschlungen, in der Nacht hingegen offenbarte sie ihre tödliche Kraft. Ihr gegenüber stand Nunki – Anni – scheinbar unbewaffnet, aber wenn man genauer hinsah, konnte man die Schlagringe an ihren Fingern funkeln sehen. Außerdem wusste Raphael, dass sie immer ein Messer verborgen im Stiefel trug. Ihre Stärke war ihre Unberechenbarkeit – bisher war es niemandem gelungen, ihren nächsten Zug vorherzusehen. Er vermutete, dass sie während ihrer Zeit im KZ gelernt hatte, nur noch von einem Tag zum nächsten zu leben und nicht mehr für die Zukunft zu planen. Das musste sich irgendwie auf ihre Kampftechnik übertragen haben. Nun, da sie unter sich waren, hatte sie auch ihren Schal abgelegt, der eine breite Narbe an ihrem Hals verbarg – einst der Schnitt, an dem sie verblutet war und den selbst die Macht der Sterne nicht vollständig hatte heilen können. Wieder einer der Gründe, warum Sternenhüterin Favelkap so wichtig für sie war. Kein anderer Lehrer hätte akzeptiert, dass sie selbst im Sportunterricht ein Tuch um den Hals trug.
»Sie hat ihre Ausbildung begonnen, den Eid abgelegt. Was erwartest du denn noch von ihr?« Er spürte Ärger in sich aufsteigen. Er war es leid, sich ständig für ihre Beziehung rechtfertigen zu müssen. Keiner von ihnen war perfekt – in seinen Augen stand es den anderen nicht zu, ihn wegen seiner Gefühle zu tadeln.
»Darum geht es nicht. Sie lenkt dich ab, und ich bin mir nicht sicher, ob du im Ernstfall noch die richtige Entscheidung treffen würdest.«
»Du meinst, sie einfach sterben zu lassen?«
»Wenn es die einzige Möglichkeit ist, unsere Aufgabe zu erfüllen.«
»Warum redest du mit mir darüber? Was ist mit Lea und Torge? Würden sie den anderen opfern?«
»Das wurde von Anfang an berücksichtigt. Sie wurden nicht wegen ihrer kämpferischen Fähigkeiten auserwählt, sondern wegen ihrer Jugend, weil sie uns das moderne Leben näherbringen können. Von dir jedoch wird ein kühler Kopf erwartet.«
Raphael riss einen Zweig ab und begann, ihn in kleine Stücke zu zerrupfen. »Ich habe es versucht. Sie weigert sich, an einen sicheren Ort zu gehen.«
»Du musst dich von ihr trennen.«
»Ausgerechnet du sagst das?« Raphael sah ihn enttäuscht an. »Gerade von dir hätte ich Verständnis erwartet.«
Ras schloss die Augen und lehnte seinen Kopf gegen den harzigen Baumstamm. »Genau deshalb. Ich habe all das, was du gerade durchmachst, bereits hinter mir. Ihr habt keine Zukunft. Du bringst sie um ihr menschliches Leben mit Kindern, Familie, einem Mann, mit dem sie alt werden kann. Sie ist so jung, sie weiß noch nicht, was der Verzicht darauf bedeutet. Und wie wird es enden? Ihr ist jetzt schon durch die Ausbildung zur Sternenhüterin der Weg zu einem normalen Leben versperrt, aber vielleicht lernt sie irgendwann einen anderen Mann kennen und verlässt dich für ihn. Oder sie altert und stirbt. So oder so – du wirst allein zurückbleiben und für immer von den Erinnerungen an sie verfolgt werden.«
»War es so mit Katinka?«
Ras kniff seine Augen zusammen. Für einen Moment verzerrte Schmerz sein Gesicht. »Sie starb jung, bevor ich mit ansehen musste, wie sie im Alter langsam verfällt. Doch an ihren Augen habe ich bereits gesehen, dass sie sich von mir trennen wollte. Sie ertrug es nicht mehr, mit einem Mann
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