Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
eines klarstellen, bevor es in den künftigen Ereignissen untergeht.« Er ergriff ihre Hand, strich mit seinem Daumen über ihren Handrücken und betrachtete ihn, als wäre es ein kleines Wunder. »Sollte Andromeda sich täuschen und ich dieses Jahr nicht sterben, werde ich auf dich warten. Ich werde immer da sein, Lilly. Wie lange auch immer es dauern mag, sobald du frei bist, werde ich da sein. Wir sind füreinander bestimmt, und sollte mir auch nur ein Tag mit dir vergönnt sein, dann wird es doch der glücklichste meines Lebens sein.«
Sie sah ihn an, überwältigt von seinen Worten. Die letzten Wochen hatte sie seinen bevorstehenden Tod ignoriert. Sie glaubte nicht an Prophezeiungen, und selbst wenn, wäre das etwas, an dem sie nichts ändern konnte. Aber er war der festen Überzeugung, dass er schon bald sterben würde. Sollte sie ihn da nicht glücklich machen, tun, was die Sterne offensichtlich von ihr erwarteten, und ihm das schönste letzte Jahr schenken, das er sich nur vorstellen konnte? Danach war immer noch Zeit, um zu Raphael zurückzukehren. Im selben Moment, in dem sie das dachte, fühlte sie sich wie eine Hure. Sie sollte mit dem Jungen zusammen sein, den sie aufrichtig liebte, und nicht aus Mitleid oder Angst, jemanden zu verletzen.
Doch diese Erkenntnis half ihr auch nicht weiter. Wer war ihre wahre Liebe? »Ich weiß nicht, was … was ich sagen soll«, stammelte sie.
»Du brauchst nichts zu sagen«, erwiderte er. »Ich wollte nur, dass du weißt, ich werde auf dich warten.«
Der Anblick seines wunderschönen Gesichts, gezeichnet von Liebe, Verständnis und Trauer, schnürte ihr die Kehle zu. Sie spürte seinen Schmerz, als wäre es ihr eigener, und ihre Seele verlangte danach, dass sie ihren Gefühlen für ihn nachgab.
Er sprang vom Zaun, bot ihr seine Hand an, die sie innerlich auf das nächste Prickeln gewappnet ergriff. »Lass uns gehen.«
Sie richtete sich auf, hüpfte herunter, trat auf eine Eisplatte und rutschte seitlich ab, sodass sie gegen ihn prallte. Sanft fing er sie auf, hielt sie mit beiden Armen dicht an seinen Körper gepresst. Sie sah auf, betört von seinem Duft, fühlte sich so verletzlich und hilflos nach all den Ereignissen, dass sie nicht auswich, als sich sein Mund dem ihren näherte. Ihre Lippen berührten sich in einem flüchtigen Kuss, als Raphaels tonlose Stimme in ihrem Rücken erklang. »Ras und Fynn suchen euch. Kommt zur Ruine.«
Entsetzt riss sich Lilly von Mikael los, rannte Raphael hinterher, der bereits umgedreht war und auf den Ast einer Fichte gesprungen war. »Warte!«
Voller Zorn und Enttäuschung starrte er sie trotzig an. »Du brauchst mir nichts erklären. Ich weiß, was es bedeutet, einen Zwillingsstern zu haben.«
»Nein, so ist das nicht. Bitte!« In ihren Augen schwammen Tränen, vernebelten ihre Sicht, doch Raphael wandte sich ab und eilte davon.
»Es tut mir leid.« Mikael trat von hinten an sie heran, legte seine Hand auf ihre Schulter, doch sie riss sich los.
»Lass mich in Ruhe.« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie davon und ließ ihn mit hängenden Schultern stehen.
51
† A ls Lilly an der Ruine ankam, war Raphael schon wieder weg – allerdings mit Ras’ Wissen. Sie teilten sich in drei Gruppen auf. Eine würde auf direktem Weg zu der Ruine gehen, in der Andromeda ruhte, und in die Tiefe hinabsteigen, während die anderen beiden Teams über Umwege nachkommen würden, um mögliche Verfolger in die Irre zu führen.
Mikael, Lea und Anni gehörten zum Erweckungsteam – weil Andromeda Geschlechtsgenossinnen bevorzugte und sie Mikael bereits kannte und weil die Stargazer darauf bestanden, dass auch einer von ihnen zu der Gruppe gehörte.
Zuerst wollten die anderen Lilly aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung zurücklassen, aber da weigerte sie sich, sodass man sie schließlich dem Erweckungsteam zuteilte, da sie zumindest theoretisch am wenigsten in Gefahr schwebten.
Lea führte ihre Gruppe zielstrebig an. Es war ihre Aufgabe gewesen, alle paar Tage an der Ruine nach dem Rechten zu sehen. Am Fuße einer alten Eiche, die umzingelt von Kiefern stand, hielten sie an. Ihre Äste hingen tief, und von ihr strahlte eine Art friedlicher Trauer aus, als wüsste sie, dass sie bald vergehen würde, und freute sich auf die ewige Ruhe, der sie entgegensah.
Lea schob einige Blätter zur Seite, sodass unter der Laubschicht eine hölzerne Falltür, in die verschlungene Ornamente geritzt worden waren, auftauchte. »Darunter liegt
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