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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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ärgerlich. Sein Ruf gellte über den verschneiten Berghang. Aber wie angestrengt er auch lauschte, niemand beantwortete seinen Ruf.
    »Komm, Paki – du mußt vor Einbruch der Dunkelheit in deinem Verschlag sein.« Heute nacht war Vorabendfest, und Khiras Widerstreben, sich den Feiernden anzuschließen, war ebensogroß wie Pakis Widerwillen, ins Tal zurückzukehren. Leere Stühle würden um den Tisch der Barohna stehen, und wenn sie am Fest teilnahm, mußte sie zwischen ihnen sitzen. Aus irgendeinem Grunde hatte sie, als Alzaja noch bei ihr gewesen war, diese Leere nicht wahrgenommen.
    Und heute nacht wurden die Namen freigegeben. Die Namen all derer, die während des Jahres gestorben waren, würden freudig weitergegeben werden, damit man sie wieder benutzen konnte. Eine Frau, die hoffte, im Frühjahr von einem Kind entbunden zu werden, würde um Alzajas Namen bitten. Khiras Hand griff fest in Pakis Mähne. Die Frau, die den Namen gewann, würde aufgefordert werden, einen seiner Buchstaben zu verändern, so wie Alzaja den Namen Khirsa in Khira abgewandelt hatte. Vielleicht würde ihr Kind Ilzaja oder Alzada gerufen werden. Dennoch würde es hart sein, den Namen ihrer Schwester nächstes Jahr und die Jahre danach zu hören.
    Einiges würde hart werden, ermahnte sie sich. Sie mußte hart sein, um es zu ertragen. Sie mußte steinern sein.
    Dennoch fragte sie sich manchmal nach dem Grund. Ohne die Fähigkeit der Barohna, den Sonnenstein zu benutzen, würden die Leute der Halle hungrig sein und in Massen dahinsiechen. Aber einmal, bevor Lensar den ersten Sonnenstein geschliffen und Niabi seine Verwendung entdeckt hatte, waren die Menschen in den Hallen doch ohne Barohnas gewesen. Und sie hatten gelebt.
    Warum mußten Palasttöchter sterben, um Barohnas für den Sonnenthron abzugeben? Und warum mußten die Lebenden ihre Herzen zu Stein werden lassen? Khira dachte darüber nach, als sie Paki den Berg hinunter führte. Ob es irgendwo in den Schriftrollen eine Antwort darauf gab? Was jetzt war, mußte nicht immer so gewesen sein. Mußte es für immer so sein?
    Wenn ich die Antwort finde, schwor Khira, werde ich meine erste Tochter nach dem Namen des Verfassers der Schriftrolle benennen, aus der ich die Antwort erfuhr.
    Bin ich so sicher, daß ich eine Tochter haben werde?
Khira blieb am Rand des Weges stehen, strich Schnee aus Pakis Stirnlocke und fragte sich, ob sich Tiahna ihrer Barohnaschaft sicher gewesen war, bevor sie sie erwarb. Würde sie es jemals erfahren? Tiahnas Lebensrolle war für sie versiegelt, solange diese lebte. Und Khira war manchmal sicher, daß sie die nächste Barohna des Tales würde. Diese Gewißheit überkam sie zuweilen unvorhersehbar und verschwand ebenso unberechenbar. Wenn ihr Herz einen harten Kern hatte, warum fühlte sie dann soviel Schmerz und Ungewißheit? Sie setzte ihren Weg ins Tal hinunter fort, führte vorsichtig die blinde Rotmähne und grübelte.
    Als sie eben die Pferche erreichten, fiel die Dunkelheit des späten Nachmittags über das Tal. Khira achtete nicht auf Pakis hartnäckigen Widerstand und fand einen Schäfer, der ihm ein Lager zwischen den Mutterschafen und Lämmern zur Verfügung stellte.
    »Versuch zu vergessen, daß du eine Rotmähne bist, bis Yvala wieder zurückkommt«, forderte sie ihn auf und kämmte seine goldbraune Mähne mit den Fingern. Als er unwillig den Kopf hochwarf, wußte sie, daß er nie vergessen würde, daß er eine Rotmähne war.
    Ebensowenig konnte sie später, als die Glocken zum Vorabendfest läuteten, vergessen, daß sie eine Palasttochter war. Sie lag mit geschlossenen Augen auf ihrem Bett und versuchte, den Klang nicht an sich herankommen zu lassen. Sie war jetzt wütend, daß sie sich wieder vom Berg hatte vertreiben lassen; daß sie keinen weiteren Beutel mit Schlafstaub genommen hatte und den Weg zurückgegangen war; wütend darüber, daß die Palastmauern sie nun den Winter über umgaben. Am Tisch der Barohna bestand kein Bedarf nach ihr. Das Fest konnte ohne sie anfangen. Es spielte keine Rolle, ob ihr Stuhl leer blieb; er war nur einer unter vielen.
    Doch als die Glocken wieder erklangen, verließ sie ihr Bett, zog ihr wollenes Hemd an und stieg hinunter zum Festsaal. Als sie eintrat und die Anwesenden sich nach ihr umsahen, fühlte sie, daß sich die Winterkälte auf ihr Gesicht ausgewirkt hatte. Sie bewegte sich auf den Tisch der Barohna zu, ohne sich anmerken zu lassen, daß sie jemanden im Raum sah, und nahm auf ihrem Stuhl am

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