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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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glühenden Stengeln der Lampen. Khira hatte sich geweigert, sie von den Dienern stutzen zu lassen, als sie Flure und Zimmer für den Winter vorbereiteten. Sie tastete sich an den Steinwänden empor, klauenbesetzte Schößlinge hielten die fleischigen Stengel am Platz. Ein einzelnes gezacktes Blatt hatte sich an einem Stengel entrollt.
    Khira wußte jetzt, warum sie untersagt hatte, die Stengel zu trimmen. Sie biß sich auf die Lippen und brach das einzelne, Anstoß erregende Blatt ab. Sie mußte in diesem Winter Licht, keinen Schatten haben. Sie würde Licht haben an jeder Wand, Licht an der Decke. Mit einem erstickten Seufzer zapfte sie Wasser aus dem Hahn und wässerte die Steintöpfe, in denen die Stengellampen wurzelten.
    Sie brauchte vor allem Licht in diesem Winter. Und sie würde nicht weinen. Sie war jetzt die älteste Tochter, und es war der Samen des Steines in ihrem Herzen; so spärlich und zart er auch immer sein mochte. Sie hielt ihren Schwur weniger als fünf Minuten. Der Winter begann mit Tränen und Schnee.
     



4 Khira
    Die ersten Wintertage waren die schmerzlichsten. Die Flure des Palastes waren mit Gespenstern bevölkert; vertraute Gestalten, die sich nie vollständig verfestigten. Khira schlüpfte zwischen ihnen hindurch, wollte nach ihnen greifen, hoffte, mit ihnen sprechen zu können. Aber immer, wenn sie den Kopf umdrehte, lösten sie sich in Schatten auf. Alzaja, Tiahna, der Arnimi-Commander, Diener, Wächter, Köche – sie alle schienen nicht weiter als eine Armlänge von ihr entfernt. Jeden Tag, wenn sie die Dampfkessel kontrollierte, lauschte Khira ängstlich auf den Klang von Schritten in den verlassenen Korridoren hinter ihr. Manchmal stahl sie sich in den Thronsaal, in der Hoffnung, jemanden, den sie kannte, in den Sonnenspiegeln zu finden. Sie fand nur sich selbst.
    Gelegentlich wagte sie sich, soweit die verschlossenen Türen dies zuließen, zum Westflügel. Aber die Arnimi hatten keine Spuren von sich in den Steinkorridoren vor ihren Quartieren zurückgelassen; nicht einmal einen Geruch, der gestattet hätte zu prüfen, ob sie so menschlich waren, wie sie behaupteten. Sie kletterte auch oft auf den Wachturm und schaute hinaus über den Schnee. Terlath war eine wenig einladende, weiße Form in der Ferne, niedrig hängende Wolken verbargen die steilen Spitzen. Die Steinhallen waren zu weißgedeckten Erdhügeln geworden, und der Palast selbst war in tiefen Schneeverwehungen versunken. Nur hochaufragende Belüftungskamine und der Turm selbst wiesen auf die Anwesenheit von Leben im Tal hin.
    Zu keiner Zeit sah sie den entsetzlichen Schrecken voraus, der kommen sollte. Die Einsamkeit war schrecklich genug.
    Vier Hände von Tagen – drei fünffingrige und ein dreifingriger – zierten ihre Zimmerwand, als der Ton die Nacht zerbrach. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie fast die Existenz eines Einsiedlers angenommen; sie fand zu einem kindlichen Verhalten zurück, von dem sie angenommen hatte, sie hätte es längst abgelegt. Sie verbrachte viel Zeit damit, Steinhüpfen in den verlassenen Fluren zu spielen, sie warf die scharfkantigen Markierungssteine mit trotzigem Klappern, dann hüpfte sie auf einem entblößten Fuß und versuchte, die Steine weder zu zerstreuen noch auf sie zu treten. Manchmal, am Ende eines Spieles, blutete ihr bloßer Fuß, und sie schnallte ihre Stiefel mit einer gewissen bitteren Befriedigung um. An anderen Tagen beschäftigte sie sich mit den Brettspielen, die Alzaja sie gelehrt hatte. An manchen 'ragen streifte sie einfach so durch die Flure, bevölkerte sie in ihrer Vorstellung mit Dienern und Monitoren, ließ diese Schatten in gewohnter Weise gehen, veranlaßte sie zu beschleunigtem Tempo oder ließ sie in peinlichen Positionen erstarren.
    Jeden Tag, nachdem sie die Dampfkessel versorgt hatte, die die wenigen von ihr benutzten Räume erwärmten, wässerte sie fleißig die Stengeltöpfe überall im Palast. Alzaja hatte ihr beigebracht, die Töpfe den Winter über trocken zu halten, aber in diesem Jahr setzte Khira die Wurzeln unter Wasser, um das leuchtende Wachstum zu beschleunigen. Dann zog sie die neuen sprießenden Stengel in leuchtenden Mustern. Ihr Schlafzimmer wurde üppig. Es schimmerte vor Licht wie das Innere eines kostbaren Edelsteines. Khira liebte es, im Bett zu liegen und sich vorzustellen, daß sie ein Quarri wäre; ein böses Wesen von unermeßlicher Größe, das in seinem Inneren einen geschliffenen Glühstein verbarg, einen von der Art, wie Tiahna ihn

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