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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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umher, erschrocken, beschämt über ihr Erschrecken, kalt. Sie warf weder die Hüpf-Steine, noch saß sie vor dem mit Intarsien-arbeiten geschmückten Spielbrett. Statt dessen ließ sie sich von Ort zu Ort treiben und hielt in den schattigen Ecken inne um zu horchen, zu schauen.
    Sie hatte bereits mehrere Stunden auf einem ängstlichen Rundgang verbracht, als sie einen entfernten Klang hörte, als schlüge Stein auf Stein. Sie fröstelte, ihre Augen weiteten sich, ihr Atem stockte. Der Klang war unregelmäßig, schwach.
Dschink. Dschink – dschink. Dschink.
Khira überwand ihre anfängliche lähmende Angst durch etwas, das einer grimmigen Freude nahekam, und schritt weiter den Flur hinab. Entschlossenes Handeln, egal welcher Art, mußte besser sein als die jagende, lauernde Stille, die an diesem Morgen über ihr lastete.
    Rasch folgte sie dem Laut bis an die verschlossene Tür, die zum Wachturm führte; dem einzigen Ort, an dem sie in der Nacht zuvor nicht gesucht hatte. Sie hielt kurz vor der Tür inne, ihre Nackenhaare stellten sich auf. Wer konnte im toten Winter vom Turm her rufen, da die Palasttüren verschlossen waren und die Beobachtungskuppel mit schweren Glassteinen versiegelt war? Khiras Augen durchforschten die erleuchteten Hallenwege an jeder Seite der Tür und entdeckten nichts. Sie versuchte, die aufkommende Panik hinunterzuschlucken und würgte statt dessen. Der Laut regte ein neuerliches aufgeregtes Klopfen von der anderen Seite der Türe an.
    Khiras erster Gedanke war fortzulaufen, so schnell sie ihre Füße tragen konnten, um diesem Ende des Palastes nie wieder nahe zu kommen. Beschämt schloß sie die Augen fest und biß sich auf die Lippe. Alzaja war auf Terlaths zerklüftete Gipfel emporgestiegen, um dort auf ihr Tier zu treffen, und trug nichts weiter als einen Spieß und ihre Tagesration bei sich; sie war in der Tradition der Palasttöchter durch
    Jahrhunderte aufgebrochen. Wie konnte Khira dann weniger tun, als vorwärtszuschreiten und leicht gegen die Stein zu klopfen, mit nichts als dem blanken Knöchel?
    Das antwortende Rasseln war deutlich.
Dschink – dschink! – dschink – dschink – dschink!
Khira sank zurück, versuchte, im ‹schatten des Flures frischen Mut zu sammeln. Dann ließ sie Mich zitternd auf die Knie nieder und erforschte den haarfeinen Riß am unteren Teil der Tür. Sie nahm dort einen schneidend kalten Luftzug wahr. Stirnrunzelnd sprang sie wieder auf die Füße. Die Glassteinscheiben der Beobachtungsfenster waren sicher abgedichtet, und die Doppeltüren am Ende der Treppe waren so dicht wie diese. Aber das Gefühl von Kälte an ihren Fingerspitzen war unverkennbar, so unverkennbar wie das erneute Klopfen von der anderen Seite der Tür.
    Alzaja, so sagte sie sich, würde die Türe unverzüglich entriegelt haben. Schließlich zwang sich Khira, den Riegel anzuheben; ihre Hände zitterten.
    Die Tür schwang unter ihrem eigenen Gewicht auf, und Khiras Augen wurden groß. Was immer sie auch erwartet hatte, es war nicht dieser schmächtige, dunkle Junge, der –in Grau gekleidet – auf der untersten Stufe kauerte. Er ergriff eine Glasscherbe mit der bloßen Hand und blickte in ihre Richtung mit Augen, die so tief wie Bergteiche waren nur dunkler, viel dunkler – und ebenso einsam. Er zitterte merklich im kalten Schacht des Treppenhauses.
    Khira starrte ihn an, seine unpassende Kleidung, dann äugte sie den dunklen Schacht hinauf. »Du hast die Aussichtsfenster zerbrochen.« Ihr vorwurfsvoller Ton überraschte sie selbst. Aber sie war wütend; wütend darüber, daß er hier unerlaubt eingedrungen war, wütend darüber, daß er sie vor Entsetzen zittern gemacht hatte, wütend, daß seine unerklärliche Gegenwart in ihr noch tiefere Ängste anrührte.
    Langsam richtete sich der Junge auf. Sein Körper war dünn, die Glieder waren schmal. Er begegnete ihrem anklagenden Blick mit einem leichten, ängstlichen Runzeln der Stirn und murmelte etwas, was sich fast wie eine Verteidigung anhörte, aber mit einem fragenden Beiklang.
    »Und die Türen dort oben?« fügte sie rachsüchtig hinzu. »Nicht wahr, du hast die oberen Türen auch zertrümmert?«
    Diesmal versuchte er nicht, sich stotternd zu verteidigen. Er betrachtete sie nur aus traurigen Augen während er seine kalten Finger gegeneinander rieb.
    Warum nur war er nicht genauso erschrocken wie sie? Ihm schien es nur kalt zu sein, und das war bestimmt kein Wunder. Der Anzug, den er trug, war erbärmlich dünn. Khira übertrieb

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