Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
Aber jetzt, heute –
Er hatte keine Zeit, den Gedankengang weiter zu verfolgen. Das dunkle Grollen des Donners wurde drohender. Das Geräusch wuchs, wurde mißtönend, stieg an, bis es zu einem verzerrten Schrei direkt über seinem Kopf wurde; es klang, als schrie eine riesige metallene Kehle wie toll nach ihm. Der Kopf des Jungen schnellte nach hinten, und im gleichen Augenblick fühlte er, wie er in einem unsichtbaren Strahl gefangen war, die Arme an die Seiten geheftet, die Augen hilflos geweitet. Der lähmende Strahl hielt ihn für Momente fest.
Dann war es vorbei; seine Augen klärten sich, und er sah über sich das Schiff: einen metallenen Rumpf mit vertrauten dunklen Zeichen; eine Luke, die sich langsam öffnete; eine metallene Kapsel, die sich langsam niedersenkte und. zugriff. Nach ihm. Das Schiff war gekommen, um ihn wieder mit Hilfe des metallenen Helmes zu berauben.
Sein Herz schlug wie wild, und er versuchte, sich ins Unterholz zurückzuziehen. Aber seine Knie versteiften sich; und statt ihn wegzutragen, zwangen ihn seine Beine vorwärts; dorthin, wo das Schiff sich niedergelassen hatte. Der Lenkende wollte, daß er zum Schiff ging, wollte auch, daß er auf das trockene Flußbett zuging, die Arme hochhielt und dem bekleideten Mann in der Kapsel ein Zeichen gab.
Er wollte nicht. Er kämpfte gegen den Befehl des Lenkenden. Durch verbissene Anstrengungen gewann er die Kontrolle über seine Beine wieder. Zuckend, als kämpften seine Muskeln gegeneinander, zog er sich zu den Bäumen zurück, dann drehte er sich um und rannte; sein Herz schlug rasend vor Wut und Angst. Als er rannte, begannen sich seine Beinmuskeln zu krümmen und zu verkrampfen; versuchten, ihn zurückzuhalten.
Er mußte sich an die Stimme und die Worte erinnern. Er mußte sich vor dem Helm schützen. Sonst würde er nie wissen, weshalb die Stimme sich bei ihm beklagte, warum sie gefangen war in einem Stück Seidenstoff.
Er rannte zwischen den Bäumen hindurch und wußte, daß es sinnlos war. Drei Arten Donner erklangen im morgendlichen Wald: das ohnmächtige Pochen im Herzen des Jungen, das entfernte Grollen am Himmel, das schnelle Hämmern der Schiffsmaschinen. Der Greifer packte ihn, als er das seichte Steilufer hinunterstürzte, nahe dem Gebiet, wo die Menschen lebten. Er krallte sich in seine spärlichen Kleider, und dann sprang die bekleidete Gestalt aus der Kapsel und stürzte mit einem blinkenden Gegenstand in der Hand auf ihn zu. Zu erschöpft zum Kämpfen, fühlte der Junge den Stich einer Nadel. Für einen Augenblick schwankte er benommen, sein Mund war plötzlich trocken, sein Blick verschleiert. Als er hinfiel, explodierte ein Wutausbruch in seinem Verstand und blendete ihn. Er wallte durch seinen Körper; ein letzter zweckloser Widerstand.
Die Stimme. Die Wörter.
Der Junge war ohnmächtig. Der Mann im Anzug hob ihn in die Kapsel. Als das Schiff sich wieder erhob, begann es zu regnen; und die Tropfen waren ölig und warm wie Blut.
2 Khira
Khira erwachte vom fröhlichen Schwirren des trockenen Raschelkrautes, das über ihrem Bett hing. Die Morgensonne streckte ihre Strahlen durchs Fenster, berührte die rauhe Steinwand des Schlafzimmers, hob die Spuren der Jahrhunderte hervor; Löcher, Vertiefungen, verschossene Stellen. Der Wind, der durch die geöffneten Fensterläden strich, war voller Wohlgerüche. Jenseits der Grenzen des Palastes –jenseits der eingedämmten bewachsenen Felder – standen Hunderte von Obstbäumen mit entfalteten Blättern und Blüten, um das Sonnenlicht zu fangen und es in Zucker zu verwandeln. Khiras Wandbehänge kräuselten sich träge, aufgestört durch die lebhafte Brise, und verblaßte Gobelinfiguren tanzten in der Sonne. Es wäre einfach, so einfach, sich auf den Decken auszustrecken und sich von der Sonne wärmen zu lassen, bevor sie sich anzog und nach unten ging.
Aber heute ...
Sie unterdrückte den beunruhigenden Gedanken, als sie das Stampfen von Füßen unter dem Fenster hörte. Sie warf die Decken von sich, rannte zum Fenster und erreichte es eben noch rechtzeitig, um die Rotmähnen-Wächterin mit ihrer Pflügegruppe vorbeigehen zu sehen. Yvala war der Name der Wächterin; manchmal nickte sie Khira streng zu, obwohl sie die anderen Kinder ignorierte. An diesem Morgen warfen die Rotmähnen ihre Köpfe und tänzelten in schwerfälliger Ausgelassenheit; erfreut, daß es auf die Felder ging. Sie waren Brakrathi-Zuchttiere, kräftige Tiere, die kaum bis zur Gürtellinie ihrer
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