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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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vorherrschenden Bild die Bilder der anderen sehen, den Schwestern, die sie nie getroffen hatte: Mara, Denaber, Hedia, Kristyan, Sukiin.
    Sieben Schwestern – fünf von ihnen gegangen, tot auf dem Berg.
    Heute ging Alzaja.
    Khira schnürte ihre Kleider mit zitternden Händen.
Heute.
Sie wollte sich rasch ankleiden und dann irgendwo hinrennen, nur nicht in den Speisesaal. Vielleicht auf die Felder, um die Rotmähnen beim Pflügen zu beobachten. Zu dem Schuppen, in dem die Konserven hergestellt wurden, wo die Wächter die Behälter zählten und abzuschätzen versuchten, wie viele in diesem Jahr gebraucht würden. Oder zur Töpferei, wo sich die Räder wohl bereits drehten, und der schlüpfrige Ton die Schürze des Töpfers bespritzte.
    Heute.
    Khira kleidete sich fertig an und ging nirgendwo anders hin, als in den Speisesaal. Alzaja saß bereits am Tisch, ihre Haare verbargen die Wangen. Als Khira eintraf, schaute sie kurz auf und lächelte, während der Gehilfe des Koches unverzüglich mit Khiras Servierplatte erschien.
    Alles darauf war in der Zeit von Alzajas Gestirn gewachsen. Das Brot, gebacken aus dem Korn, das geerntet worden war, als Nindra in ihrer Herbstfülle prangte. Die Butter zur gleichen Zeit gebuttert. Die gekochten Eier waren im Herbst zuvor im Kühlraum gelagert worden. Alle Zutaten waren ebenfalls während Nindras Fülle gesammelt worden.
    Heute, Alzajas Probe zu Ehren, würde jeder im Tal Nahrung aus Nindras Herbstfülle aufnehmen, sogar die Samenprüfer und die Züchter, die dem Fleisch von Gastgebern geringen Wert beimaßen, und die behaupteten, das Weizenkorn hätte immer den gleichen Nährwert; egal, wann es gereift sei.
    Laß sie an Nindras Brot ersticken, dachte Khira, und sie wußte, daß sie an allem, was sie heute essen würde, schwer zu schlucken hätte. Mühsam kaute sie auf einem Brotbissen herum und schluckte es trocken hinunter. Es blieb ihr in der Kehle stecken, und sie mußte kräftig husten. Sie schaute kurz auf und bemerkte, daß Alzaja sie prüfend ansah.
    »Du bist heute morgen blaß, Khira.« Alzajas Stimme war gelassen, so leidenschaftslos wie eine ersterbende Brise.
    »Ich habe die Nacht über gelesen«, sagte Khira, obgleich beide wußten, daß sie die Nacht verbracht hatte, indem sie sich im Bett hin- und herwälzte.
    »Dann mußt du heute nacht schlafen«, sagte Alzaja mit einem Lächeln, das ihre Lippen unberührt ließ. Gelassen beschäftigte sie sich wieder mit ihrer Platte.
    Khira studierte sie eingehend, als sie sich wieder ihrem Mahl zuwandte. Alzaja hatte sechs Hände von Tagen auf dem Berg, aber die Sonne schien sie kaum berührt zu haben. Ihre Haut war hell, fast durchsichtig. Durch die zarte Haut ihrer Schläfen konnte Khira das Pochen in den blauen Adern sehen. Die Übungen hatten ihre Hände nicht schwielig gemacht, aber sie hatte die Nägel geschliffen, bevor sie an diesem Morgen heruntergekommen war. Khira runzelte die Stirn. Messerscharfe Nägel und ein Hauch von Sonnenbräune machten Alzaja nicht eindrucksvoller, als sie es bereits vor dem Training gewesen war.
    »Alzaja ...« Aber sie konnte den Rest nicht sagen:
Geh nicht. Laß mich nicht allein!
Vielleicht, wenn sie es ruhig hätte sagen können, vernünftig – aber gerade die Tatsache, daß sie die Bitte zurückhalten mußte, ließ ihr Herz vor Erregung schlagen; vor Angst um Alzaja, vor Wut und Grauen. Selbst wenn Alzaja zurückkäme; sie würde anders sein. Denn das war es, weshalb sie zum Berg ging: um sich ihrer Probe zu unterziehen und ihre Borahnaschaft zu erwerben.
    Alzaja las ihre unausgesprochene Bitte und lächelte matt. Sie schob ihre Platte zurück und stand auf. »Es ist jetzt Zeit für mich zu gehen. Möchtest du mich bis zu den Obstgärten begleiten?«
    Dachte sie, Khira würde sie dann leichter gehen lassen? »Ja, ich werde dein Bündel tragen. Und deinen Spieß. Alzaja ...«
    »Ich werde alles selbst tragen, Khira«, sagte Alzaja mit einem unbestimmten Lächeln, als wenn ihr Geist irgendwo außerhalb ihres Körpers weilte, verloren in seinen eigenen Angelegenheiten. Ihre Finger zitterten nicht einmal, als sie ihr Bündel mit einer einfachen Tagesration festzurrte; alles Fleisch der Gastgeberin, bis zur kleinsten getrockneten Frucht, dann nahm sie den Spieß auf. Sie trug kein Leder, wie es die Jäger tun. Statt dessen hatte sie das gebleichte, wollene Hemd angezogen, daß sie bereits zum Vorabendfest im letzten Herbst getragen hatte. Ihre Arme waren ebenso wie die Beine unter den

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