Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
geworfenen Samen schnell wachsen, im Überfluß, und die süßesten Knollen würden sich im braunen Schlamm rascher vermehren, als sie sich an ihnen gütlich tun könnten. Sie würden nie wieder Samen in die öffentlichen Teiche säen müssen, und sie würden nie wieder hungrig ein.
Die Stimme Gottes – die Frau hatte ihm erzählt, wie sie beschaffen war, aus feinen, straffgespannten Metallfäden, in denen der Wind sang. Sie hatte ihm auch erzählt, wie sie die Menschen in einer verborgenen Weise berührte; daß sie ihre Gebete mächtig und ihre Wünsche erreichbar machte. Ihr erster Wunsch war natürlich, daß ihr Teich sie gut ernährte. Ihr zweiter ..
Der Junge stöhnte auf; plötzlich hörte er etwas anderes in seinem Traum; nicht die Stimme der Frau, nicht die Gottesstimme, sondern eine andere, eine metallische Stimme. Zuerst war sie wie ein tiefer dröhnender Ton in der Ferne. Dann kam er näher, ein ohrenbetäubender metallischer Schrei.
Jäh zerriß das Traumgebilde. Der Junge setzte sich mit gellendem Schrei auf, packte sein Bettzeug und rang nach Atem.
Das Dröhnen, der Schrei – und etwas am Himmel; ein Schatten, den er nicht erkennen konnte ...
für einige Augen blicke verblieb das Ende des Traumes noch in seinem Geist und ließ ihn vor Entsetzen zittern. Hinter diesem Entsetzen war etwas Schlimmes; etwas, das er nicht ertragen konnte. Er schauderte, und plötzlich, als hätte man eine Tür ver schlossen, verschwand der Traum. Kein Eindruck von ihm blieb zurück; weder Bilder noch Töne. Es gab nur Angst.
Eine so intensive Angst, daß Kadura sich gewaltsam gegen sie verschließen mußte, bevor der heftige Blutandrang ihr Herz schädigen konnte.
Der Schrei des Jungen hatte Khira aufgeweckt. Sie setzte sich verwirrt auf. »Dunkeljunge?«
Er starrte betäubt an ihr vorbei ins Leere. »Ich – ich hatte einen Traum ...«
Khira kämpfte die Verwirrung des Aufwachens rasch nieder. »Einen Alptraum? Dunkeljunge – was hast du geträumt?«
Wie gestern schon, war Kadura angerührt von der Tiefe der Besorgnis Khiras. Zeit war vergangen seit jenem Sommer, da Khira mit den Töchtern der Wächterinnen in der Ebene herumgerannt war und Alzaja zugeschaut und sich insgeheim gefragt hatte, ob sie jemals ihre Wildheit zügeln und zur Ruhe kommen würde.
»Was hast du geträumt?« drängte Khira, als der Junge nicht antwortete.
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern. Ich dachte – ich dachte, es wäre alles gut. Aber ...«
»Ja, ein freudiger Traum, der in Entsetzen endete. Und nun erinnerte er sich an nichts mehr. Nur noch die Grundstimmung war in ihm: Angst. Er wandte sich Kadura zu, und für einen Moment sah sie sich selbst mit seinen Augen:
die derzeitige Erschöpfung, ihr Gesicht derart faltig und runzelig, daß es nichts über ihre gegenwärtigen Gedanken aussagte; und ihre Augen – Augen, die sahen und ihn der Notwendigkeit enthoben zu sprechen. »Kadura ...«
»Ja, Dunkeljunge. Es täte dir gut, wenn du für eine Weile fortgingest. Es wird bald hell. Wandere bis dahin. Khira ...«
»Ich werde mit ihm gehen.«
»Ja.« Kadura schaute zu, wie sie ins Grau gingen, und sie blieb sitzen, die Kapuze schützte ihr Gesicht vor der Kühle des Morgens. Es war ungewohnt für sie, sich nach der Ruhe des Winters mit Ängsten und Leidenschaften zu befassen. So ungewohnt, den Sturm der Jugend im Kopf zu spüren, drängend, deutlich und schmerzhaft. Sie fragte sich für einen Moment, ob ihr Herz noch die Elastizität besaß, um dem gegenüberzutreten, was sie in den beiden fand. Das erste Eis hatte ihr Herz berührt, als Upala starb, und es bereitete ihr Schmerzen – jetzt, da sie auf Dunkeljunges und Khiras Rückkehr wartete.
Beunruhigt stand Kadura auf und begann trockene Zweige und Moos für das Morgenfeuer zu sammeln.
Khira und der Junge kehrten zurück, wie sie es ihnen empfohlen hatte; Dunkeljunge ruhiger, aber abgelenkt, noch nach verlorenen Bildern greifend.
Sie wanderten kurz nach Morgengrauen weiter. Die Ebene lag verlassen im kalten Morgendämmerung. Gelegentlich durchbrach ein knorriger Baum die Eintönigkeit. Innerhalb einer Stunde trafen sie auf eine einzelne Rotmähne, einem ältlichen Hengst mit verblichener Mähne und fettem Hinterteil. Er nahm den Jungen sofort an und trug beide, Khira und den Jungen, ohne Widerspruch. Später, als sie einer kleinen Herde begegneten, wählten sich Khira und der Junge jüngere Reittiere. Bald ritten sie so unbekümmert, als hätte es keinen
Weitere Kostenlose Bücher