Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
wurden dunkel vor Aufregung.
Sie schlagen eine Brücke zu den Rotmähnen, wie du zu mir.
Kadura nickte und war sich bewußt, daß Khira darum kämpfte, die Wut zurückzuhalten, die von ihr Besitz ergriff. »Ja, fast so.«
Aber sie schlagen keine Brücke untereinander?
»Nein; und ich bin überrascht, daß du noch nicht bemerkt hast, daß Khira beunruhigt ist, wenn du mit mir sprichst ohne zu reden.«
Ein rasches Verengen seiner Pupillen zeigte seine Verwirrung an. »Khira ...« Aber Khira wandte die Augen ab, schaute finster und weigerte sich, auf seine Entschuldigung einzugehen.
Dann war es Zeit für den Unterricht. Der Beginn wurde wie immer durch die Ankunft der ersten Rotmähne auf Quell angezeigt. Der ältliche Hengst, der früher den Jungen und Khira getragen hatte, trat aus der Dunkelheit und näherte sich dem Wasser. Seine Mähne hing zottelig herunter und das grobe Haar seines Schweifes war unordentlich. Aber in Nindras Licht schien sein Gesäß eher kraftvoll fett, und er ignorierte den Wind, der an seinem dichten Fell zerrte.
Für eine Weile stand er neben dem Quell und starrte zu den versammelten Wächterinnen und Töchtern hinauf. Als sich die letzte unruhige Tochter still im Schatten ihrer Mutter niedergelassen hatte, senkte der Hengst den Kopf, um zu trinken.
»Wir legen jetzt die Handflächen auf den Boden«, wies Kadura Dunkeljunge an. »Und die Fußsohlen.«
»Aber meine Stiefel ...« Dunkeljunge starrte verzaubert auf den Hengst.
»Heute nacht ist er anders, nicht wahr? Deine Stiefel werden dich nicht behindern, wenn du dich ruhig machst; sehr ruhig, überall, in deinem Geist, in deinem Körper.«
Wenn ich nach ihm ausgreife ...
»Nein, greif nicht aus! Mach dich leer – völlig leer – und warte. Und erwarte für heute nacht nichts. Das ist dein erster Unterricht. Du weißt noch nicht, wie du mit deinem Körper lauschen mußt.« Aber als er die Hände sanft auf die gestampfte Erde legte, erkannte sie, daß er bis zu einem gewissen Grad Bescheid wußte. Es war ihm gegeben, mit mehr als den Ohren zu hören.
Der Hengst hob den Kopf vom Wasser und betrachtete die Mädchen und Frauen, die ganz ruhig saßen, ganz leer. Kadura seufzte, ließ die Worte davongleiten, den Herzschlag des Hengstes in sich eindringen. Ein Bein schmerzte ihn; eine Reizung des Gelenkes, und tief in seinem Unterleib war ein Blutgefäß verklemmt, und das Blut konnte nicht mehr so leicht fließen. Aber er fühlte das Ansteigen des Frühlings überall im Körper, hob den Kopf und wieherte.
Kadura zog ihr Bewußtsein aus ihm zurück und machte sich wieder leer, als die Stute zur Quelle trottete, um sich zum Hengst zu gesellen. Sie war sogar noch älter als er, aber ihr Körper barg Erinnerungen ihrer Jugendzeit; Erinnerungen an Vereinigungen, Paarungen und Fohlen, und sie bewegte sich mit schwerfälliger Anmut. Sie antwortete dem Hengst wiehernd, dann beugte sie den Kopf, um zu trinken. Sie war die älteste Stute ihrer Herde und trug das Wissen über ihre Art im ganzen Gewebe des Körpers; trug es wie ein Kompendium des gesammelten Rotmähnen-Wissens. Sie wußte, wo sie nach dem zartesten Gras suchen mußte, gleich, welche Jahreszeit herrschte; wußte, wie sie Wasser fand, selbst in der trockensten Zeit des Sommers; wußte, wie ein Fohlen gleich nach der Geburt aussehen und riechen sollte; wußte alles, was eine Rotmähne wissen mußte, um am Leben zu bleiben.
Hinter ihr sammelten sich ungeduldig andere Rotmähnen; jüngere stärkere. Sie warteten, während sie trank, die Köpfe gesenkt, die Ohren weiche Hautlappen, die im groben Fell verborgen waren; die Augen leer, als sie sich ihr öffneten. Belehrungen hatten auf der Ebene stattgefunden, lange bevor die ersten Wächterinnen eingetroffen waren. An den Quellen und Bächen hatten sich in mondhellen Nächten schon immer Rotmähnen versammelt und den Älteren gelauscht, um zu lernen.
Kadura seufzte. Manchmal belasteten sie noch die Sorgen und Pflichten, die sie so viele Jahre lang niedergedrückt hatten; Entscheidungen treffen, Gefährtinnen wählen, Töchter zum Sterben aussenden. Als sie sich von allen diesen Dingen leerte und die Geheimnisse der Rotmähnen eintreten ließ, wurde sie alterslos. Sie wurde dem Staub der Ebene gleich; und im Staub waren niemals Überdruß, Schmerz oder Verlust.
Staub.
Gib acht, meine Herde. Teichwasser riecht anders, wenn Stech-Madder in den Felsen nisten. Es riecht so … in dieser Art … und wenn es so riecht, dürft ihr es nicht
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