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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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starrte auf die atemlose Menge, die Hände zu Fäusten geballt, und sein Magen wurde zu Stein, als Jhaviir zuerst das Armband zur Schau stellte und es dann über Kevas Hand gleiten ließ. Wunderbarerweise zitterten Jhaviir nicht einmal die Hände. Dabei hatte er im Marlath-Tal gelebt. Er wußte doch, daß sich keine frische Barohna zum erstenmal die Armbänder über die Hände gleiten ließ, wenn Menschen in der Nähe waren. Er wußte doch, daß die Barohna vielmehr den Edelsteinmeister hoch in den Bergen traf, um die Armbänder entgegenzunehmen, die er für sie geschnitten und geschliffen hatte, und, wenn er fortgegangen war, noch eine Stunde wartete, bevor sie sie auch nur mit den Fingern berührte.
    Er wußte doch, daß sie die Anwendung in der Einsamkeit ausprobierte; bis sie bereit war, sie unter Menschen zu tragen.
    Jhaviir wußte dasselbe wie Danior. Und dennoch war das Armband an seinem Platz, und er hielt Kevas Arm hoch, damit es alle sehen konnten. Danior beobachtete fasziniert, wie der Stein zum Leben erwachte. Innerhalb von Augenblicken wurde aus dem dunklen Band ein blitzender Licht – Keva schaute es an, sie erbleichte, ihr Körper gab nach.
    Jhaviir ließ das Armband wieder hinabgleiten, während er weitersprach; er hielt noch immer Kevas Arm. Tedni stieß Danior heimlich an. »Du – du sollst jetzt hingehen und den Sonnenstein an ihrer Stelle halten. Du sollst hingehen, um ihn zu tragen«, zischte er mit weit aufgerissenen Augen. »Er braucht dich.«
    Danior war so erleichtert darüber, daß der Sonnenstein in Jhaviirs Hand dunkler wurde, daß er nichts dagegen hatte. Er bewegte sich automatisch vorwärts. Er bemerkte kaum Reznis gieriges Starren, sah kaum das verspätet einsetzende Zittern an Jhaviirs Fingern, als er das Armband über sein Handgelenk gleiten ließ. Er starrte auf das Armband aus Sonnenstein hinab und hielt einen Moment lang die Luft an. Wenn es auch für ihn leuchtete ...
    Doch es leuchtete nicht.
    Danior hob langsam den Kopf, er wagte kaum zu atmen. Ur begegnete Kevas Blick und sah darin Angst und Widerstand – und empörten Unglauben. Erst allmählich wurde er sich der lauernden Stille bewußt. Er blickte über den versammelten Clan und erkannte, daß sie darauf warteten, daß er sprach.
    Legende. Er mußte ein Mann mit einer Legende sein. Denn er war der Rauth-Sohn des Viir-Nega; Träger des Sonnensteines.
Benommen hob er die Hand und zeigte das Armband. Und indem er seinen ganzen Mut zusammennahm, verkündete er mit durchdringender Stimme: »Ich nehme das Amt als Wächter des Sonnensteines an.«
    Obwohl sie seine Worte nicht verstanden, begannen die Menschen des Größeren Clans zu schreien und mit den Füßen aufzustampfen. Danior hielt den Arm steif hochgereckt und hoffte, daß niemand den Schweiß sah, der über sein Gesicht lief und sein Gewand näßte. Ohne es selbst zu merken, hob er auch die andere Hand und berührte den Paarungsstein. Wenn eine Prüfung stattfinden sollte, so wie heute der richtige Zeitpunkt dafür. Ganz bestimmt war jetzt soweit. Denn im Moment wünschte er sich nichts sehr, als sich umzudrehen und davonzulaufen. Um der Wüste zu entfliehen; dem Feuer, das er im Sonnenstein gesehen, hatte, den Wegen, die sich vor seinen Füßen öffneten – und vor den Füßen Kevas.
     

12 Keva
    Wenn ihre Erinnerungen auch einst ungeordnet und undeutlich gewesen waren, so waren doch dort jetzt Ereignisse eingebrannt, die - das wußte Keva - die Zeit niemals mehr zum Verblassen bringen konnte. Sie würde sich immer an die stumme Warnung in den Augen ihres Vaters erinnern, als er das verzierte Steinarmband über ihre Hand hatte gleiten lassen. Sie würde sich stets an den Schrecken und das Entsetzen erinnern, als das Armband aufgeglüht war; an das würgende Gefühl, daß sie im Begriff stand, in Regionen entführt zu werden, die weit jenseits ihres Verständnisses lagen, und aus denen sie den Weg zurück niemals mehr finden konnte. Sie würde sich immer an Daniors blutloses Gesicht erinnern, als ihr Vater das Band von ihrem Handgelenk genommen und um seines gelegt hatte – und den Augenblick, da sie begriffen hatte, was es überhaupt war: das Feuerarmband einer Barohna. Das war der Moment, als ihre Beine nachgegeben hatten und sie beinahe hingefallen wäre.
    Doch etwas hatte sie gestärkt, und sie hatte ihre Rolle zu Ende gespielt – was hätte sie sonst tun sollen, wo doch der Größere Clan zugesehen hatte? Sie hatte während der übrigen Rede mit erhobenem

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