Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
beunruhigend lange aus. »Was soll ich tun?« fragte Keva schließlich.
»Biete deine Klinge an«, antwortete Resha. »Das ist Teil des Gespräches.«
Es ist ein Teil des Gespräches, Waffen auf den Tisch zu legen? Um damit Vertrauen zu demonstrieren? Um zu zeigen, daß man nichts versteckt hatte? Die einzige Klinge, die sie jemals besessen hatte, war eine Grabeklinge gewesen, und die hatte man ihr im Wald gestohlen. »Ich trage keine Klinge«, sagte sie schließlich und fragte sich gleich darauf, ob sie vielleicht etwas Falsches gesagt hatte. Würde man das Fehlen einer Waffe als ein Zeichen von Schwäche auslegen? Resha übersetzte es rasch, und zu Kevas Erleichterung wandten sich ihr alle Augen ehrfurchtsvoll zu. Aeia sprach schnell, ihr sonnengegerbtes Gesicht wirkte angespannt.
»Wenn du keine Klinge brauchst, bist du sehr mächtig«, übersetzte Resha. »Aber wie jeder weiß, bist du eine Barohna aus den Bergen. Keine andere Frau in diesen Harten Ländern würde es wagen, ohne Waffen zu gehen. Tinata und Aeia sind befriedigt darüber, mit dir verhandeln zu dürfen.«
»Ich ...« Neue Verwirrung kam auf. »Bitte ... über was verhandeln wir?«
Reshas Zähne blitzten in einem kurzen überlegenen Lächeln auf. »Tinata und Aeia wollen über die Umstände der Hochzeit verhandeln. Gestern abend kam Rezni zu ihnen und sagte, daß sie zu seinem Bruder gehen müßten, damit er dich zu seiner Ersten Frau machen könnte. Ein geringerer Stand käme nicht in Frage. Sein Bruder ist mit seinen fünfzehn Jahren bereits ein geschickter Glasarbeiter. Er würde ihnen also eine gute Hochzeit ausrichten. Aber Tinata und Aeia haben sich diesen Vorschlag überlegt und ein Gegenangebot vorbereitet, da die Verpflichtung mit zwei Klingen schneidet.«
Zwei Klingen? Die beiden Klingen auf dem Tisch? Und war Rezni sich so sicher, daß er seine beiden Frauen schon verstoßen hatte? Aber sie sahen nicht wütend oder verstoßen aus. Keva preßte ihre Schläfen. Eines war klar, sie hatte nicht die Absicht, Reznis Frau zu werden.
»Resha, sag ihnen bitte, daß ich nicht die Absicht habe, ihre Ehe zu zerstören. Ich habe Rezni bereits mitgeteilt, daß ich nicht vorhabe, jemandes Frau zu werden. Ich ...«
»Aber es wäre eine sehr gute Verbindung«, wandte Resha sofort ein, ohne auf eine Antwort von Tinata oder Aeia zu warten. »Wir haben das bereits miteinander besprochen, da ich deine älteste Schwester bin. Ich bin ein Jahr älter als Tedni, weißt du, und er wird in dieser Saison zwölf. Tinata
entstammt einem sehr mächtigen Clan. Der Kranich trägt die scharlachrote Schärpe. Du hast bestimmt gesehen, wieviele scharlachrote Schärpen heute beim Clan-Ruf getragen wurden. Er stellt für uns eine mächtige Verbindung dar. Die Baantas sind nicht so zahlreich, doch sie sind sehr geschickt. Sie sind auch ausdauernde Arbeiter. Aeia hat eine Begabung für Gartenarbeiten. Jedermann weiß, daß sie die beste Gärtnerin in diesem Viertel Pan-Vis ist. Hier wird niemand hungrig bleiben. Und sie hat ihrem Ehemann bereits einen Sohn geschenkt. Und auch Tinata wird schon bald einem Kind das Leben geben.«
»Ja, das sehe ich«, sagte Keva leise. »Ich ...«
»Dann ist die Pflicht klar, beide Klingen. Sie können Rezni nicht verlassen, da sie ihm Kinder gegeben haben, und aus demselben Grund kann er sie nicht fortschicken. Nicht ohne ihre Zustimmung. Nicht einmal zu seinem Bruder.
Und jetzt kommt, was sie als die beste Lösung beschlossen haben. Sie erlauben, daß man sie für eine Nacht zu Dari schickt, so daß du diese Nacht hast, um Reznis Erste Frau zu werden. Am nächsten Tag werden sie dann wieder die Ehe eingehen. So wirst du den Status als Erste Frau bekommen und gewichtige Beziehungen, und sie werden eine Ehe haben, stärker als alle anderen in Pan-Vi. Und – natürlich wird es ein Fest geben, wie man es seit Jahreszeiten nicht mehr gesehen hat, denn du bist ja die älteste Tochter des Viir-Nega.«
Keva schaute die beiden stummen Frauen an und fing endlich an zu begreifen. Sie mußte darum kämpfen, daß sich ihre Überraschung nicht in Lachen ausdrückte. Nicht nur Rezni plante, sie zu verheiraten. Tinata und Aeia planten dasselbe, aber unter geringfügig verschiedenen Bedingungen. Und Resha, als ihre älteste Schwester, fühlte sich zuständig, sie zu beraten. Fühlte sich sogar, wie aus der Überheblichkeit in ihrem mageren, jungen Gesicht zu lesen war, dazu kompetent.
Kevas erster Gedanke war, sofort und eindeutig abzulehnen.
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