Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
Vom Netzwerk:
zwischen die Bäume zurück.
    Heute nacht griffen die dunklen Wesen nicht nach ihm. Statt dessen band die gelbäugige Kreatur die letzte der bunten Seiden an das Nestgerüst und ließ dann die einzige Seide frei, die noch nicht gesungen hatte. Sie wand sich heftig im Mondlicht, obwohl der Wind sanft war; Elfenbein umgab sich mit Silber.
    Und sie sang nicht. Sie sprach. Sie langte nach dem Mondlicht, packte den Wind und gab eine dringende Bitte mit einer harten, männlichen Stimme von sich. Danior verstand die Worte nicht, die sie benutzte. Sie stammten aus einer Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte. Aber ihre Not wurde deutlich. Die Stimme bat ihn um etwas.
    Und es war eine Stimme, die er kannte. Eine Stimme, die er von Kindheit an gehört hatte.
    Eine Stimme, die er auch heute gehört hatte.
    Verwirrt holte Danior tief Luft und hielt den Atem an, bis sich das Wärmezentrum in seiner Kehle derart ausdehnte, daß es ihn zu ersticken drohte. Die Anstrengung brachte ihn der weißen Seide nicht näher. Machte ihm ihre flehenden Worte nicht verständlicher. Danior taumelte rückwärts, seine Brust brannte. Er hustete, versuchte so, die blockierten Atemwege zu klären.
    Der Wald glitt jäh davon. Die Bäume wurden dunkler, der Wind verblaßte. Doch immer noch hörte er die eindringliche Stimme.
    Danior zauderte und verbannte den letzten brennenden Kloß aus der Kehle. Jhaviir stand vor ihm, er hatte seine Hand auf seine Schulter gelegt und die Finger hart eingegraben. »Was hast du gesehen, Danior? Danior - was hast du gesehen?«
    Danior schüttelte den Kopf, er war zu erschüttert, um sprechen zu können. »Ich ...«
    »Unsere Feinde«, zischte Tedni, während er versuchte, sich zwischen sie zu schieben. »Dein Stein glühte so hell, daß er dein Gesicht ganz blau färbte. Du hast unsere Feinde gesehen!«
    »Nein; ich sah ... etwas anderes«, brachte er schließlich heraus, die Worte schmerzten. »Eine weiße Seide. Eine weiße Singseide.« Er blickte in Jhaviirs erstaunte Augen, flehte ihn um Verständnis an, flehte ihn an, ihm zu sagen, was es bedeutete, daß eine vertraute Stimme in einer fremden Sprache ihn anflehte.
    »Gibt es ... hast du eine weiße Seide versteckt?«
    Die winzigen Muskeln unter Jhaviirs Augen zogen sich zusammen. »Ich habe eine.«
    »Hast du ... hast du ihr jemals zugehört?«
    Jetzt wurde die Anspannung in Jhaviirs Gesicht deutlicher. Er warf einen Blick auf die Mitglieder des Größeren Clans, die sich mit den Händen an den Waffen näher drängten. »Ja. Einmal.«
    »Hast du ... deine eigene Stimme gehört?«
    Jhaviir runzelte die Stirn und gab Daniors Schulter frei. Er sprach knapp. »Ich hörte meine Stimme. Die Stimme meines Bruders. Jemand ist verloren.«
    Verloren. In Not. Danior drückte sich die Hände gegen die Schläfen; es war ihm bewußt, daß ihn der Größere Clan beobachtete. Was hatte sein Vater gesagt? Daß es, seitdem Birnam Rauth vor über einem Jahrhundert verschwunden war, eine Nachricht von ihm gegeben hatte. Eine Nachricht mit
    dem Inhalt, daß er gegen seinen Willen an einem Ort festgehalten wurde, den er nicht beschreiben konnte. Danior drückte mit tastenden Fingern den Paarungsstein. War die
    Nachricht, die sein Vater gehört hatte, auf einer Singseide
    aufgezeichnet worden? Hatte sein Vater eine weiße Singseide gefunden - entweder hier oder auf einer anderen
    Welt? Und heute - wie hatte er es geschafft, über das Blaue Lied hinauszugelangen und Birnam Rauths Stimme zu hören? Wenn es Birnam Rauths Stimme war? Der Paarungsstein ...
    Er begriff nicht, was er getan, wie er es getan hatte. Vielleicht würde er es niemals verstehen. Die Menschen des Gößeren Clans fingen an, ungeduldig zu werden, murmelten miteinander. Offensichtlich glaubten sie, genau wie Tedni, daß er den Paarungsstein dazu benutzt hatte, einen Blick auf ihre Feinde zu werfen. Danior ließ die Hand sinken. »Sag ihnen ... sag ihnen, daß ihre Feinde noch schlafen«, wies er Jhaviir an. »Sag ihnen, daß ich den Stein nochmals benutzen werde, wenn die Faulpelze aufgewacht sind. Daß ihre Träume alles sind, was ich im Augenblick sehe.«
    Jhaviir nickte und lächelte, dankbar darüber, daß Danior sich so rasch wieder gefangen hatte. »Ihre erbärmlichen Träume«, ergänzte er. »Und ich werde noch ein paar Ausschmückungen hinzufügen. Und später, wenn das hier vorbei ist ...«
    Er brauchte die Bitte nicht zu vollenden. »Ich werde den Stein dazu verwenden, in ihr Lager zu schauen«,

Weitere Kostenlose Bücher