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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Doch sie wußte jetzt genug über die Bräuche in der Wüste, um zu vermuten, daß eine offene Ablehnung sie nur zu einer noch reizvolleren Kandidatin machen würde. Sie mußte einen anderen Weg finden, auf den Antrag zu antworten, doch konnte sie sich nicht vorstellen, wie er aussehen sollte.
    »Kommen die Ehen in der Wüste immer so zustande?« fragte sie vorsichtig.
    Resha übersetzte es rasch und sagte dann: »So schreiben es die Gesetze der Ehre vor. So kamen die Ehen zwischen den Kri-Nostri zustande, von denen sich die Gesetze der Ehre ableiten. Unter den Kleinen Clans ist es Brauch, die Frauen eines anderen Clans zu rauben. Aeia ist einmal geraubt worden, als sie noch sehr jung war – jünger, als ich es jetzt bin –, aber sie tauchte ihr Messer hinein.«
    »Sie tötete ihn?« Keva schaute beunruhigt auf die ältere von Reznis Frauen.
    Resha nickte. »Sie ist eine Baanta. Sehr geschickt. Und Tinata ...« Resha wandte sich der jüngeren Frau zu und sprach schnell auf sie ein. Tinata griff nach ihrem Messer, kniff die Augen zusammen und hieb mit dem Messer durch die Luft. Resha bewegte ihren Kopf dabei hin und her. »Tinata ist sehr tapfer, obgleich sie nicht so stark wie Aeia ist. Wie haben bereits entschieden, daß sie deine Beschützende Schwester wird, bis die Ehe genehmigt ist. Ich werde hierbleiben, um ihren Platz einzunehmen, und sie wird mit dir zum
han-tau
meines Vaters gehen. Sie wird ihr Messer für dich tragen, um die Stärke zu demonstrieren, die aus dieser Heirat erwachsen wird.«
    Tinata wollte sie beschützen? Wo sie doch selbst kaum mehr als ein Kind war und sich wegen der Schwangerschaft nicht gut bewegen konnte? Keva wählte ihre Worte mit Bedacht; sie hatte Angst, die angebotene Freundlichkeit auszuschlagen. »Bitte sag ihr, daß ich ihr Angebot zu schätzen weiß, Resha. Und dir danke ich für den Dienst, den du uns allen erwiesen hast, indem du unsere Worte verständlich gemacht hast. Aber ich ... ich bin es gewohnt, die älteste Schwester zu sein. Ich bin gewohnt, diejenige zu sein, die die anderen beschützt. Ich wäre besorgt darüber, wenn sie ihr Heim verließe, um ... um mich zu beschützen.«
    »Aber es ist ihre Pflicht. Jedermann weiß, daß Rezni dich gebeten hat, seine Erste Frau zu sein, und daß Tinata und Aeia ein Gegenangebot planen. Die Leute werden sagen, sie hätten keine Prinzipien.«
    »Aber wir wissen doch alle, daß sie welche haben. Es ... es ist für mich offensichtlich, und ich bin ihnen eben erst begegnet. Und sie sollte hierbleiben. Ihr Baby ...«
    »Es ist erst in einer anderen Jahreszeit fällig.«
    Keva senkte den Kopf, sie war sich sowohl Tinatas als auch Aeias Blicke bewußt. »Ist das – mich zu beschützen – 'Teil der Gesetze der Ehre?«
    »Es ist ein alter Brauch, den der Viir-Nega von den Kri-Nostri mitgebracht hat. Er wird das Prinzip des
nishana nishata
genannt. Zwei gegen die Gefahr. Tinata wird sich sehr schämen, wenn du ihren Schutz ablehnst.«
    Keva schüttelte den Kopf und fragte sich, wie es dazu hatte kommen können, daß sie von einem schwangeren Mädchen Schutz annahm. Doch wie konnte sie sich weigern und dadurch Tinata beschämen? »Ich habe mich noch nicht einmal bereit erklärt, die Ehe zu schließen«, sagte sie nachdrücklich. »Mein Vater ...«
    »Er wird es verstehen, wenn er Tinata in deiner Begleitung sieht«, sagte Reshna abschließend. »Jeder wird begreifen, daß du die Ehe in Erwägung ziehst. Und jeder wird dir zählen, welchen Nutzen sie dir bringt.«
    Keva versuchte, weiter zu diskutieren, doch es war sinnlos. Allein ihr Zögern veranlaßte Resha dazu, Tinatas und Aeias Vorschläge noch hartnäckiger darzulegen. Und fand sich Keva schließlich ein wenig später in einer Gasse wieder, mit Tinata an der Seite, die ihr Messer ostentativ gezogen hatte und etwas auf ihrem Gesicht zur Schau stellte, was sie offenbar für einen einschüchternden, finsteren Gesichtsausdruck hielt.
    Wäre es Aeia gewesen, hätte Keva vor der blitzende Klinge Respekt gehabt. Glücklicherweise war Aeia, seine Erste Frau, dort geblieben, um sich um die Gärten zu kümmern. Keva rieb sich über den Arm, sie war dankbar dafür, Und dankbar dafür, den ersten Teil des Abends hinter sich gebracht zu haben, ohne an das Feuerarmband und all die anderen Dinge gedacht zu haben, die sie beunruhigten und verwirrten. Sie folgten einem unbekannten Weg, der sie zum
han-tau
ihres Vaters führte. Die Monde waren bereits aufgegangen. Ihr Licht glitzerte auf Hunderten

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