Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
sie sie murrend fort, um ihren Protest zu demonstrieren.
»Sie möchte, daß du verstehst, daß sie nur mitgeht, weil der Viir-Nega es angeordnet hat«, sagte Tedni. »Sie möchte, daß du weißt, daß sie immer zwischen dir und dem Feind stehen wird. Sie ...«
»Ich verstehe.« Unwillkürlich ergriff Keva Tinatas Hand. ..Ich verstehe.«
Tinatas runde Auge wurden groß. Sie drückte Kevas Hand und nickte eifrig. Dann drehte sie sich um und führte Keva den Weg zu Viir-Negas Haus zurück.
Niemand außer den jüngeren Kindern und Maiya war zurückgeblieben. Sie bombardierten Tinata mit Fragen, die Kinder stießen imaginäre Messer in die Luft und nahmen militärische Haltung an, schlugen die Hacken zusammen und murrten. Keva fühlte sich isoliert durch die mangelnde Sprachkenntnis und setzte sich in dem Zimmer, wo sie auch im gestrigen Abend gesessen hatten, auf ein Kissen. Etwas später gingen die Kinder zu Bett, und im Scheibenhaus wurde es still. Tinata döste zusammengerollt auf ihrem Kissen, ihre Augenlider zitterten. Maiya kam herein, sprach einige Worte, die Keva nicht verstand, und verschwand wieder.
Eine einzelne Kerze begann zu tropfen und löschte sich dadurch selbst aus. Keva ließ sich in einen eigentümlichen schwebenden Bewußtseinszustand fallen, ihre Gedanken streiften umher und waren ohne Sinn; als hätte sie bewußt jeden Gedanken an den Kampf in der Wüste beiseite geschoben; als wäre sie gewillt, an alles andere außer daran zu denken. Doch schließlich holten sie die Gedanken an den Kampf ein. Sie zitterte, starrte zu den Sternen empor, die durch die Glasscheiben schienen. Sie bemühte sich, ihre wachsende Unruhe abzuschütteln, indem sie zur Vordertür ging und auf die Gasse schaute. Sie sah niemanden, hörte nichts. Es gab nur Mondlicht und Stille.
Sie war eben wieder im Begriff, sich zurückzuziehen, als sie glaubte, den schwachen Schrei einer Rotmähne gehört zu haben. Sie zögerte, wollte Tinata nicht allein lassen. Aber hier schien sie nicht in Gefahr zu sein. Und sie wußte, daß sie nicht einschlafen konnte. Nicht bis ihr Vater und Danior zurückgekehrt waren. Sie schlüpfte rasch die Gasse hinunter und lauschte, ob noch ein Schrei käme.
Sie wanderte aufs Geratewohl durch die dunkle Ansiedlung und dachte an die Wüste, die dahinter lag, an die Weite. Dachte an die Verwundbarkeit von schlafenden Kindern und Glasscheiben.
Dachte an alles, nur nicht daran, daß ihr Vater und Danior dort draußen im Dunkeln kämpften.
Die Rotmähne schrie erneut ganz in der Nähe, und Keva suchte sich den Weg zu den Schafpferchen, wo man die Tiere einquartiert hatte. Die Jährlinge wieherten und schnaubten aufgeregt, als sie sich ihnen näherte, und er- kämpften sich ihren Weg durch die protestierenden Schafe hindurch bis zum niedrigen Gatter. Keva drückte die forschenden Nasen und rieb ihre Hälse, lachte über ihr Ungestüm, bis eine kleine Gestalt aus dem Schatten trat und sie anzischte.
Sie fuhr zusammen. Ein Mädchen von vielleicht acht Jahren blickte finster zu ihr empor. Es sprach, deutete auf die eingepferchten Tiere und gestikulierte eindringlich. Keva runzelte die Stirn. Wollte das Mädchen ihr zu verstehen geben, daß es Aufseherin über die Jährlinge war? Daß es hier schlief und den Pferch bewachte? Oder war es nur Angeberei? Keva nickte, als verstünde sie das Gesagte. Das Kind stellte sich in Positur, wobei es sie noch immer finster anschaute.
Seufzend kehrte Keva wieder in die Gassen zurück. Sie wanderte eine Zeitlang einfach nur herum, bis sie den Rand der Siedlung erreichte, und spähte über die vom Mondlicht erleuchtete Wüste. Ihr wurde eng ums Herz. Plötzlich schien es ihr, als wäre die Nacht sehr lang; als wären schon viele Stunden verstrichen, seitdem sie und Tinata den ersten warnenden Schrei gehört hatten. Tedni tat die Yarika als einen der kleinsten Clans ab. Doch das machte den Biß ihrer Messer nicht weniger tödlich. Sie blickte besorgt umher und wünschte sich zu wissen, was in der Wüste geschehen war. Wenn sie Danior und Tedni finden könnte ...
Tedni hatte gesagt, daß sie sich irgendwo am Rande der Siedlung aufhalten würden. Keva vermutete, daß es in der Nähe des Schutzlabyrinthes war. Sie schaute umher, stellte die Richtung fest und trat einen Rundgang um die Ansiedlung an, wobei sie immer wieder leise die Namen rief, bis las Schutzlabyrinth vor ihr auftauchte. Sie spähte in die hatten. »Danior?«
Keine Antwort. Doch irgendwo in den dornigen
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