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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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beharrliche Druck, der vom Atem des Tieres ausging, erreichte sie auch durch die dicken Fasern. Sie rollte sich auf den Bauch und krümmte schützend die Schultern. Wenn sie aufwachte, mußte sie sich mit ihrem Hunger und dem Schmerz des verletzten Knies beschäftigen. Mußte wieder daran denken, sich den Wächterinnen zu nähern um dort vielleicht etwas zu erfahren, was sie nicht erfahren wollte. Mußte sich mit der Fremdartigkeit auseinandersetzen, die sie während des Traumes gespürt hatte, dem Fremdartigen, das die Schranken des Bewußtseins nicht anerkannte.
    Wenn sie aufwachte ...
    Diesmal stupste die Stute nachdrücklicher. Stöhnend warf Keva ihr Bettzeug von sich, einen Tadel auf den Lippen.
    Sie sprach ihn nie aus. Es war mitten am Vormittag, und die Sonne schien hell. Die Rotmähnen, die sich in der vorigen Nacht hier versammelt hatten, waren fort. Nur die Stute stand jetzt noch neben dem Wasserlauf.
    Nur die Stute – und ein Junge, der am gegenüberliegenden Ufer stand. Keva sog heftig die Luft ein, ihre Hand schloß sich um den Stein an ihrem Hals. Ein Junge in ihrem Alter blickte über das Wasser zu ihr, schaute mit
ihren
Augen, die sich in einem Gesicht befanden, das ihrem in allem glich. Außer, daß ihr Gesicht einen überraschten Ausdruck trug, während das seine nur ein ungläubiges Starren zeigte. Sie stand langsam auf, fragte sich wegen seines Ausdrucks, ob er wohl fortliefe, wenn sie ihn fragen würde, wer er war und woher er kam. Sie fragte sich, weshalb er sie so anstarrte, als wäre sie eine Erscheinung. Fragte sich, weshalb sie in der Nacht eine Veränderung in sich gespürt hatte.
    Fragte sich ...
     

5 Danior
    Die Berge hatten stets Daniors Zweifel genährt. Dort verkündete jeder moosbewachsene Erdwall, jede verwitterte Wand, jede Klippe und jeder Gipfel, daß er außerhalb der Ordnung der Dinge stand, eine Person ohne Platz. In der Ebene war die Ordnung ausgedehnter, dort umfaßte sie alles. Die Herden, das Gras, die Weite des Himmels und des Landes ließen die Legenden des Tales zusammenschrumpfen. In der Ebene wanderte er tagsüber zwischen den Herden und wohnte nachts ihrem Unterricht bei. Er beobachtete die Monde auf dem Wasser, hörte die Stimmen der Rotmähnen und vergaß, daß er keinen Platz hatte.
    Selbst diesmal, mit dem Paarungsstein zuunterst in seinem Packen und der Unsicherheit als Begleiter, spürte er, als er die Ebene erreichte, wie sich die Schatten seines Zweifels verflüchtigten. Er verbrachte die erste Nacht neben Cnarras Lehrteich, wo die Herden sich in jeder klaren Nacht zum Unterricht sammelten. Auch die hochgewachsenen Wächterinnen in ihren dunkelbraunen Umhängen versammelten sich an diesem Ort, aber sie redeten nicht mit Danior, und er sprach nicht mit ihnen. Es war Frühling, eine Zeit, in der die Raubtiere der Ebene Junge hatten, die sie füttern mußten, und die Wächterinnen bei ihren Herden waren wegen der Gefahr viel zu angespannt, um zu beachten, was er zu sagen hatte. Nach dem Unterricht gingen sie schweigend auseinander, um sich zwischen den Rotmähnen aufzustellen und aufzupassen, und Danior schlief neben dem Teich.
    In der zweiten Nacht hielt er sich inmitten einer kleinen Herde auf, die sich um einen steinumgebenen Quell versammelt hatte. Keine von den Wächterinnen erschien zum Unterricht, obwohl er sie zwischen den Herden umhergehen sah, als er am nächsten Tag nach Süden wanderte.
    Die dritte Nacht wollte er wie geplant an Waanas Lehrteich verbringen. Aber er machte am Nachmittag eine Pause, um einem Wächterinnenpaar bei einer schwierigen Fohlengeburt zu helfen, und schlief dann in ihrem Lager.
    Als er am nächsten Tag Waanas Lehrteich erreichte, waren Waana und ihre Herde nirgendwo zu sehen. Er fand dort nur einen Ebenen-Minx, von einem grobgearbeiteten Spieß durchbohrt, dessen tote Augen ihn anstarrten. Schaudernd umkreiste er das Geschöpf und stellte fest, daß der Spieß nicht mehr als ein Zweig war, dessen Ende man geschärft hatte, also überhaupt keine Waffe, wie sie die Wächterinnen benutzten. Er starrte ungläubig auf den steifen Kadaver hinunter und versuchte sich vorzustellen, daß er mit einem zugespitzten Stock einem Minx gegenüberstände. Gewiß war es jemandem so ergangen, aber er hatte keine Ahnung, wer es gewesen sein konnte. Nach einer Weile verließ er die Stelle und blickte beunruhigt über die Schulter zurück.
    Er folgte dem Wasserlauf, und als sich der Morgen dem Mittag näherte, begann er grasende Mitglieder von

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