Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
sagte, daß sie ginge. Er würde bestimmt versuchen, sie davon abzubringen. Ober vielleicht bestand er sogar darauf, sie zu begleiten.
Deshalb würde sie ihm nichts sagen. Schweigend schlüpfte sie in das Kefri zurück und sammelte ihre Sachen ein. Verstohlen ließ sie Brot und Käse in ihr Bündel gleiten. Weder Tehla noch Danior regten sich. Kurz vor der Tür hielt sie inne und blickte zurück. Ein weiteres Abschiednehmen, doch diesmal nicht so schmerzlich wie das letzte. Rasch, bevor sie wankelmütig werden konnte, trat sie auf die Gasse hinaus.
Die trabenden Füße hinter ihr sagten Keva, daß Waana ihr folgte. Sie blieb stehen und fragte sich, wieviel die alte Stute verstand. Die Rotmähnen offenbarten beim Unterricht ihr Leben den Wächterinnen. War der andere Weg auch möglich? Hatte Waana irgendeine Ahnung davon, wohin sie gehen wollte und warum?
»Wenn du mitkommst, bist zu kräftig genug, um mich zu tragen, wenn mein Bein schmerzt?« fragte sie sanft und rieb den Nacken der Stute. Waana schnaubte sanft und folgte ihr weiter.
Als sie das Lager verließen, fand Keva einen Spieß, den eine Wächterinnentochter dort vergessen hatte. Sie nahm ihn mit und wanderte vom Lager aus in südliche Richtung, darauf bedacht, sich so weit wie möglich von ihm zu entfernen.
Später, als ihr Knie zu schmerzen begann und Waana sie wiederholt anstupste, kletterte sie auf den Rücken der Stute. Sie ritt noch eine gute Weile nach Tagesanbruch weiter, müde und mit schmerzendem Knie. Das Gras war taufeucht, und der Himmel färbte sich in einem zarten Rosa, als sie die Stute anhielt. Sie drehte sich steif um und blickte, in die Richtung zurück, aus der sie gerade gekommen waren.
Es gab keine Anzeichen dafür, daß jemand sie gesehen hatte und ihr folgte. Schuldbewußt fragte sich Keva, wie lange Danior brauchen würde, bis er feststellte, daß sie nicht nur früher aufgestanden und dabei war, das Lager zu erforschen. Würde er ahnen, wohin sie gegangen war? Welchen Anzeichen würde er es entnehmen? Würde er versuchen, ihr zu folgen?
Sie ritt, bis sie die Augen nicht länger offenhalten konnte. Dann glitt sie schwerfällig vom Rücken der Stute. »Wir schlafen jetzt besser«, sagte sie heiser. Seufzend rollte sie ihr Bettzeug im feuchten Gras aus.
Sie schlief schlecht; ihr Knie schmerzte, und die Muskeln waren verkrampft. Ihr einziger Traum handelte von großen Bäumen und langen Schatten. Sie warf sich unruhig hin und her und fragte sich, ob die Bäume Phantasie oder Erinnerungen waren. Fragte sich, ob sie als kleines Kind mit ihrem Vater den Wald besucht hatte.
Sie erwachte gegen Mittag, doch nicht vom Geräusch rennender Füße, sondern weil der Boden erbebte.
Das Rennen
–Sie stand rasch auf, alarmiert, und erwartete eine Gruppe Jährlinge zu sehen, die sich auf sie zubewegten.
Sie sah nur Waana, die schlafend neben ihr stand. Es gab keine Spur von den Jährlingen, auch in der Ferne nicht. Sie ließ sich fallen, preßte ihr Ohr auf den Boden, und wieder hörte sie das Geräusch von Füßen. Der Boden, so wurde ihr jetzt klar, funktionierte wie eine riesige Trommel, er übertrug selbst entfernteste Geräusche und ließ sie näher erscheinen. Beruhigt rollte Keva das Bettzeug zusammen, dann schüttete sie Wasser aus der Wasserhaut und bespritzte sich damit das Gesicht.
Sie holte eben Brot und Käse aus ihrem Bündel, als Waana erwachte. Die alte Stute schüttelte sich und bewegte ihren Nacken, als schmerzten ihre Muskeln. Dann erhob sie sich breitbeinig und stand dort mit geschlossenen Augen. Ihre Augenlider zitterten, daraus merkte Keva, daß auch sie das Rennen spürte.
Keva wanderte den frühen Nachmittag hindurch, und Waana folgte ihr. Keva hielt häufig inne und spähte umher, suchte den Horizont in jeder Richtung ab. Zuweilen wurde die Vibration des Bodens stärker, und in der Ferne war ein schwaches Grollen zu hören. Ein andermal schien der Boden gar kein Geräusch zu übertragen.
Und dann erblickte sie in Richtung Süden eine sich zurückziehende graue Linie, und sie bemerkte eine weitere dunkle Linie, die sich rasch von Westen her näherte. Sie hielt an, drängte sich ängstlich an Waana, ihre Finger griffen in die kastanienbraune Mähne der Stute.
Die Vibration des Erdbodens nahm zu, wurde stärker. Sie drang durch Kevas Stiefelsohlen. Sie spürte sie in Waanas hervorstehenden Hüftknochen, in den Gesäßmuskeln. Aber Waana schien nicht beunruhigt, und so zwang sich Keva dazu, ihre eigene Erregung zu
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