Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
, Gedanken nicht weiter verfolgen, sondern fiel erneut in einen Schlaf der Erschöpfung.
Er erwachte beim ersten Licht des Tages, seine Muskeln schmerzten, der Mund war trocken. Instinktiv hob er die Hand zum Paarungsstein. Er preßte ihn und spürte die Wärme in seiner Hand. Doch als er probehalber nach Kevas Gedanken langte, zeigte der Stein nichts. Beunruhigt wart Danior die Decken von sich und schaute unsicher umher.
Als er gegessen hatte, versuchte er sie wieder zu erreichen, aber er konnte nichts herbei beschwören; nicht einmal die Erinnerungen regten sich. Schlafen. Sie mußte schlafen und zu müde für Träume sein. Er versuchte, an dieser Theorie festzuhalten, aber er war trotzdem beunruhigt, als er die Decken zusammenrollte, sich den Packen auflud und aufbrach.
Der Morgen war klar, in der Luft hing nur noch ein schwacher Pollenduft. Während er weiterwanderte, begegnete Danior Jährlingen, die in die Ebene zurückkehrten, die Felle zerzaust, ihre Augenlider hingen schwer herunter. Die Nasen waren gelb mit Pollen verschmiert. Sie schnaubten, als sie vorüberzogen.
Gegen Mittag, als der Stein warm in seiner Hand lag und er noch immer nicht Kevas Gedanken berühren konnte, war er nicht mehr fähig, sich selbst etwas vorzumachen. Er kam an die Stelle, wo sich die Jährlinge und Keva am Abend vorher zur Ruhe niedergelassen hatten. Es schliefen dort wieder ein paar Jährlinge, aber es gab kein Anzeichen dafür, daß Keva mit ihnen aus dem Wald zurückgekehrt war.
Etwas war mit ihr geschehen. Der Gedanke, den er in den frühen Stunden des Tages unterdrückt hatte, kam jetzt mit quälender Gewißheit zurück. Sonst hätte er ihre Gedanken berühren können und wäre fähig gewesen zu sehen, was sie sah, zu hören, was sie hörte. Statt dessen gab es nur Stille.
Voller Unruhe lief er auf die Bäume zu.
Der Waldboden war zertrampelt. Blüten hingen trunken an langen Stengeln hinunter, die Blätter eng zusammengerollt. Danior zögerte, schaute umher und fragte sich, was er jetzt unternehmen sollte, wo er suchen mußte. Er dachte an Raubtiere und die Männer der Wüstenclans. Er erinnerte sich an seine verworrenen Träume der letzten Nacht, an Stricke, verschmutzte Gesichter, eine Hand, die sich ausstreckte. Erinnerte sich an die grundlose Panik, die seinen Herzschlag beschleunigt hatte. War es Kevas Herz statt des seinen gewesen?
Beunruhigt warf er den Packen von sich und hockte sich unter die Bäume. Vielleicht hatte er einfach nur nicht intensiv genug versucht, sie zu erreichen. Vielleicht hatte er zugelassen, daß die Erschöpfung Barrieren zwischen ihnen hochgezogen hatte. Er nahm rasch den Stein in die Hand, atmete tief ein und schob alle anderen Gedanken von sich. Der Stein wurde sofort warm, und er spürte die Hitze der aktivierten Nervenzentren am Halsansatz. Er hielt den Stein vor sich, starrte hinein und versuchte den Weg in Kevas Denken zu finden. Wenn er tief genug hineinreichte, wenn er sich ganz ausdehnte ...
Er atmete schwer, umhüllte sich zur Gänze mit dem Stein, seinem wachenden Licht. Verlor sich darin. Er ließ zu, daß die Helle seine Augen erfüllte. Seine Kehle begann zu brennen. Er langte hinaus.
Lange Zeit war er sich nur des Glühens im Stein bewußt. Dann begannen fremde Erinnerungen Gestalt anzunehmen: weite Strecken rauhen Landes, eine Sonne, die zu hell; strahlte; leere Kochtöpfe, verloschene Feuer, Hunger. Stirnrunzelnd griff er tiefer und hatte den verwirrenden Eindruck eines verschwitzten Körpers, verkrusteter Fingernägel, brodelnder Wut mit Angst gemischt und brennender Empörung über eine Ungerechtigkeit. Unter seinen Füßen lag der Waldboden, und in der Nähe waren Gefährten; der Geruch der Angst hing über ihnen. Auch sie waren wütend, so wütend wie er. Er konnte es in jedem der finsteren Gesichter lesen, in jedem glühenden Auge. Er ...
Er ...
Danior zog sich bestürzt zurück.
Wo war Keva?
Und warum hatte der Stein ihn in die Gedanken eines Fremd mitgenommen? Danior schluckte seine sauer aufsteigen Angst hinab; Angst, die nur weitere Barrieren errichten würde. Er beherrschte sich, preßte die Augen fest zu und zwang sich, mehrere gleichmäßige Atemzüge zu mach bevor er wieder hinausgriff. Als er es tat, erhielt er ein Bild von Keva in seinem Verstand: ihr Gesicht, die Brauenbögen, die Tiefe ihrer Augen.
Anstrengung. Er war sich der Anstrengung bewußt, seiner Kehle, die zuerst abkühlte und dann Feuer fing. Und dann kamen die Erinnerungen, Erinnerungen
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