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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Erziehung. Nur schmeckten mir die Resultate nicht.
    Ich stieß leicht gegen die Tür – die ohne weiteres aufging. Schlösser hatte sie nicht.
    Die Halle war in einem ganz anderen Stil gehalten als die in Mütterchens Licht. Sie war riesig, nahm das ganze Erdgeschoss ein. Und alles erstrahlte in Weiß, funkelte, die Wände waren uneben, die Decke aus Platten zusammengesetzt. Ich hatte den Eindruck, mich in einer Eishöhle zu befinden. Lampen entdeckte ich nirgends, vielmehr schienen die Deckenplatten selbst zu leuchten. Das war zwar schön – aber wozu diese Einrichtung? Schließlich dachten sich die Geometer bei allem, was sie taten, etwas. An den Wänden standen runde, weiche Sessel, bezogen mit weißem Stoff, auf dem Boden lag ein dicker Teppich. Ich hütete mich, ihn zu betreten, um ja keine Spuren zu hinterlassen. Die müssten die Kinder dann beseitigen, im Rahmen der Vorbereitung-zur-Arbeit …
    Ich trat ein, lehnte die Tür sanft an und lauschte. Alles blieb still. Hier war niemand. Ein Plan für die einzelnen Stockwerke wäre jetzt hilfreich, um zu sehen, wo die Ausbilder wohnten. Dann würde ich zu Fed gehen und sagen: »Du bist mir noch was schuldig, aus unserer Zeit draußen, in Freiheit …« Aber nein, das würde Fed nicht verstehen. Den Lagerhumor würde er nicht zu schätzen wissen.
    Von der Halle führten zwei Treppen weg, eine nach oben, eine nach unten. Gab es hier also noch Untergeschosse? Ein paar Türen ließen mich an Fahrstühle denken, aber auf die verzichtete ich lieber. Drei weitere Türen identifizierte ich sofort als Ausgänge aus dem Turm – und zwar die, an denen ich noch vor kurzem völlig ergebnislos gerüttelt hatte.
    Nur gut, dass es keine Wache gab …
    Stopp. In Mütterchens Licht hatte an der Tür eine Ehrenwache gestanden!
    Ich drehte mich um, voller Hoffnung, man würde die Kinder nicht zwingen, nachts Wache zu schieben.
    Selbstverständlich gab es einen Posten. In einer Nische an der Tür, unter einer riesigen funkelnden Harpune, die an Haken hing. Der Junge war nicht größer als diese Harpune. Jetzt schlief er, friedlich ausgestreckt auf dem Fußboden.
    Ich schüttelte den Kopf. Vermutlich lag irgendein höherer pädagogischer Sinn in diesen Posten an der unverschlossenen Tür. Erziehung zu Verantwortung, zum Stolz auf das eigene Internat, auf sein Symbol. Und sie mussten diesen Dienst ja nicht häufig versehen, schließlich gab es in jedem Internat Hunderte von Zöglingen. Trotzdem hielt ich den Schlaf dieses Jungen für weitaus richtiger.
    Wenn er älter gewesen wäre, hätte ich nicht an mich halten können. Dann hätte ich die heilige Harpune vom Haken genommen und hinter einem der Sessel versteckt, in bester Tradition meiner Ausbildungszeit. Was konnte es Lustigeres geben, als den Bildersturm auf die hochheiligen Symbole? Aber der Junge war allerhöchstem neun.
    Ich blieb kurz stehen und betrachtete das Lächeln, das er im Schlaf zeigte. Am liebsten hätte ich ihm über den Kopf gestreichelt, aber wahrscheinlich wäre er von der außerplanmäßigen Zärtlichkeit aufgewacht. Also schlich ich leise, auf Zehenspitzen, zur Treppe und begab mich nach oben.
    Wo könntest du stecken, Ausbilder Fed?
    Ich muss dich sehen. Muss dir in die Augen blicken. Dir ein paar Fragen stellen.
    Es wurde Zeit für Nik Rimer und seinen geliebten Ausbilder, Tacheles zu reden!
    Ich hatte die richtige Treppe gewählt, hier fingen die Wohnetagen an. Ohne lange zu überlegen, ließ ich den ersten und den zweiten Stock hinter mir, denn dort gab es zu viele Türen. Das mussten die Zimmer der Schützlinge sein.
    Im dritten Stock blieb ich stehen.
    Der runde Treppenabsatz war etwas breiter als unten, die Lampen brannten heller. Und es gab insgesamt nur sechs Türen. Hier könnten die Ausbilder durchaus untergebracht sein.
    Ich hätte auch noch die oberen Etagen inspiziert. Man handelte besser erst, wenn man sich ein Gesamtbild verschafft hatte. Aber mein Blick war an einem weißen Stück Stoff hängen geblieben, das achtlos neben einer Tür befestigt worden war.
    Ein weißes Band.
    Ein Band, wie Katti es mir hatte um den Hals binden wollen.
    Das Herz hämmerte mir in der Brust, Schweiß bildete sich auf meinen Händen.
    Kampftransformation?
    Ich antwortete dem Cualcua nicht. Ich ging zur Tür und berührte das Band. Entweder handelte es sich genau um dasselbe oder um ein sehr ähnliches. Ich befreite es von der Nadel und band es mir sorgsam um den Hals. Bedauerlicherweise gab es keinen Spiegel. Ich

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