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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Wenn es zu einem Zusammenstoß der Kulturen kommt, zu einem Verlust der globalen Werte – wie es momentan der Fall ist –, dann tritt sie deutlicher, geradezu körperlich zutage. Aber immer und zu allen Zeiten gefiel der Zustand der glücklichen Verblödung der Mehrheit der Menschen.«
    »Gut, dann habe ich mich bei der Ursache geirrt. Aber wie sieht es mit der Schlussfolgerung aus?«
    »Ob wir das Recht haben, die Gesetze zu verletzen? Nicht die, die im Gesetzbuch festgehalten sind, sondern die moralischen Gesetze, die ethischen Postulate?«
    »Genau. Nur nicht wir, denn du hast deine Entscheidung ohnehin längst getroffen. Habe ich das Recht?«
    Mein Großvater drückte meine Hand, fest und kräftig. »Petja, ich wollte dich zu einem Menschen erziehen. Zu einem echten Menschen. Ich glaube sehr oft … und auch jetzt … dass mir das gelungen ist.«
    »Danke …«
    Dergleichen hatte mir mein Großvater noch nie gesagt. Unser Verhältnis existierte einfach, was daran Erziehung war, was Liebe und was die Ambitionen des großen Demagogen, wusste ich nicht. Und ich wollte es auch gar nicht wissen.
    »Du bist anständig, Petja«, fuhr mein Großvater leise fort. »Du machst dir selbst keinen Begriff, wie anständig du bist. Als du noch ein Junge warst, hat das die Erwachsenen gerührt und deine Altersgenossen von dir ferngehalten … Als du erwachsen geworden bist, hielt genau das die Erwachsenen von dir fern und trieb dir die Kinder in die Arme.« Er lachte leise. »Wenn sich die Leute mit dir unterhalten, kriegen sie einen Minderwertigkeitskomplex.«
    »Was?«, fragte ich völlig entgeistert.
    »Einen Minderwertigkeitskomplex«, wiederholte mein Großvater. »Du bist absolut ehrlich und verhältst dich immer ethisch. Du stellst das allgemeine Wohl immer über dein persönliches. Du bist in der Lage, dich über jedes x-beliebige Thema zu unterhalten … vom Einfluss der griechischen Kultur auf die Entwicklung der östlichen Philosophie bis hin zur Technologie der Heimschmelze legierten Stahls …«
    »Wart mal, Großpapa, legierter Stahl wird nicht in Heimarbeit …«
    Mein Großvater kicherte leise. Ich rieb mir die Stirn und verstummte.
    »Du rufst bei deinen Mitmenschen eine spontane Antipathie hervor. Und gerade weil sie völlig unbegründet ist, verhalten sie sich dir gegenüber übertrieben freundschaftlich. Gleichzeitig hast du keine echten Freunde. Einen idealen Menschen hat man nicht zum Freund, dem ordnet man sich unter. Aber davor konnte ich dich bewahren … Wenn es auch schwer war.«
    Meine Wangen glühten. Das war nicht nur unangenehm, das war widerlich!
    »Damit habe ich erreicht«, fuhr mein Großvater fort, »dass du in dem entscheidenden Moment … und wie sehr habe ich auf sein Eintreffen gehofft! … das Recht hast, eine Entscheidung zu treffen. Dass du keine Angst hast, die allgemeine Moral zu verletzen. Die Gesetze, die nur dazu ersonnen wurden, damit man sie zerstört. Denn jeder Schritt der Menschheit ins Morgen stellte eine Verletzung der Gesetze von heute dar. Und immer hat sich jemand gefunden, der es wagte, die Gesetze zu übertreten. In der Regel Schufte. Mein Traum sah jedoch anders aus. Ich wollte, dass du deine Entscheidung treffen kannst – ohne nach der Menschheit zu schielen. Gleichzeitig solltest du kein minderwertiger Vertreter von ihr sein. Eine unmögliche Aufgabe. Aber ich habe versucht, sie zu lösen.«
    »Glaubst du eigentlich selbst, was du da sagst, Großpapa?«, flüsterte ich.
    »Ja.«
    »Du willst mich überreden, eine eigene, eine persönliche Ethik zu vertreten? Und gleichzeitig hoffst du darauf, ich würde ein Mensch bleiben?«
    »Ja.«
    »Aber das ist ganz und gar nicht meine Ethik, Großpapa«, hielt ich leise dagegen. »Das ist alles nur eine Projektion deiner Ansichten. Das sind deine Ängste, deine Komplexe und deine Träume. Und ich bin nur dein Werkzeug, Großpapa. Du hast geglaubt, die Menschheit brauche, um ihre Würde zu erlangen, jemanden wie mich. Deshalb hast du mich geschaffen. Du hast mich wie in einem Reagenzglas gezüchtet.«
    »Das stimmt«, gab mein Großvater zu. »Aber ich möchte dir eine Frage stellen. Glaubst du, dass ich recht habe?
    Glaubst du, dass der heutige Zustand zum Untergang der Erde führt?«
    »Ja«, antwortete ich. »Ja, das glaube ich.«
    »Dann fürchte dich nicht, diese Entscheidung zu treffen, Petja.«
    Ich schwieg lange, aber mein Großvater erwartete eine Antwort. Draußen pfiff der Wind. Die klapprigen Schriftsteller

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